Die Inflationsprognose der OeNB im Eurosystem: wichtig, aber auch richtig?

27.09.2024

Friedrich Fritzer, Doris Prammer, Fabian Schäfer

Die Inflationsprognosen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) sind der Österreich-Beitrag zu den Eurosystem-Prognosen für den Euroraum. Sie spielen somit eine bedeutsame Rolle im Eurosystem und bieten wichtige Orientierungspunkte für wirtschaftliche und geldpolitische Entscheidungen. Doch wie präzise sind diese Prognosen? Welche Gründe gibt es für etwaige Prognosefehler und was kann die OeNB zur Erhöhung der Treffgenauigkeit der Prognosen machen?

Wie wichtig ist die OeNB-Inflationsprognose?
Geldpolitische Maßnahmen der EZB beeinflussen die Wirtschaft, wirken aber erst mit einer Verzögerung. Das macht Wirtschaftsprognosen für den Euroraum umso wichtiger. Besonders im Fokus steht dabei die Inflationsprognose. Die EZB hat nämlich das klare Ziel der Preisstabilität – mittelfristig eine Inflationsrate von 2 % – zu gewährleisten. Um das zu erreichen, ist es entscheidend, die Inflation genau zu beobachten und geldpolitische Maßnahmen rechtzeitig zu setzen. Die EZB und die nationalen Zentralbanken – also auch die OeNB – arbeiten hier Hand in Hand. Die OeNB erstellt und veröffentlicht vierteljährlich (Frühjahr, Sommer, Herbst, Winter) eine Inflationsprognose für Österreich, die in die Eurosystem-Prognosen für den Euroraum eingeht. Der Prognosehorizont umfasst maximal drei Jahre.

Wie richtig ist die OeNB-Inflationsprognose?

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Bis 2019 sagte die OeNB die HVPI-Inflationsraten1 bemerkenswert präzise voraus – selbst in Krisenzeiten wie der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008–2009 (Grafik 1). 2009 etwa prognostizierte die OeNB in ihrer Märzprognose eine HVPI-Inflationsrate von 0,5 % für das laufende Jahr. Tatsächlich lag die realisierte Inflationsrate für 2009 bei 0,4 % – um lediglich 0,1 Prozentpunkte niedriger. Ab 2020 verschlechterte sich die Prognosegenauigkeit jedoch erheblich. Dies lag zunächst an den Unsicherheiten und wirtschaftlichen Umwälzungen, die die COVID-19-Pandemie mit sich brachte. Die Herausforderungen für Prognosemodelle und Prognostiker:innen wurden 2022 weiter erhöht. Die unerwartete Entwicklung bei den Energiepreisen im Zuge des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine in Verbindung mit den Aufhebungen der Maßnahmen der COVID-19-Pandemie sowie dem Ende der globalen Lieferengpässe führte zu einem beispiellosen Anstieg der HVPI-Inflation. In der Frühjahrsprognose 2022 unterschätzte die OeNB die Jahresinflation um 3 Prozentpunkte (Grafik 2): der mit Abstand größte Prognosefehler seit Bestehen der OeNB-Prognosen. Diese Abweichung ist vor dem Hintergrund des dynamischen und abrupten Anstiegs der Inflationsrate von 2,8 % im Jahr 2021 auf 8,6 % im Jahr 2022 zu sehen.

1 Die HVPI-Inflationsrate (harmonisierter Verbraucherpreisindex) ist ein länderübergreifend vergleichbares Maß für die Inflation. Sie erlaubt Preisänderungen international zu vergleichen und dient als Indikator der Preisstabilität im Euroraum.

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Die Genauigkeit der OeNB-Prognose, gemessen am Standardfehler der Schätzung (Root Mean Squared Predicition Error – RMSE), verschlechterte sich seit der COVID-1- Pandemie nicht nur in der längeren Frist. Auch die Prognosen für die nächsten Quartale wurden deutlich schlechter (Grafik 3). Das zeigt, dass die wirtschaftlichen Verwerfungen seit Beginn der COVID-19-Pandemie die OeNB-Prognose vor große Herausforderungen gestellt haben. Allerdings verdeutlicht die Grafik auch, dass in Zeiten ohne außergewöhnliche Schocks die Prognosen vier Quartale im Vorhinein (in der Grafik Q+4) kaum schlechter sind als die kurzfristigen (in der Grafik laufendes Q). Diese Beobachtung stärkt einerseits das Vertrauen in die OeNB-Prognose. Andererseits unterstreicht sie die Bedeutung stabiler Rahmenbedingungen für die Prognosegenauigkeit.

Warum wurden die Prognosen während der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine ungenauer?
Mehrere Gründe spielen hierbei eine Rolle:

  1. Prognosen sind bedingte Aussagen über die zukünftige Entwicklung. Sie stützen sich auf Annahmen über das außenwirtschaftliche Umfeld, wirtschaftspolitische Maßnahmen und insbesondere auf die Markterwartungen für die weitere Entwicklung der globalen Rohstoffpreise, der Wechselkurse und der Zinssätze. Der Markt hat den beispiellosen Anstieg der Rohstoffpreise nicht vorhergesehen. So erreichten die Großhandelspreise für Gas und Elektrizität während der COVID-19-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine innerhalb kurzer Zeit das Dreieinhalb- bis Sechseinhalbfache ihres langfristigen Durchschnittswerts, während die Markterwartungen deutlich darunter lagen. Diese Abweichungen von den Annahmen erwiesen sich als wesentlicher Faktor für den Prognosefehler. Im Jahr 2022 war der Prognosefehler für vier Quartale im Vorhinein mit durchschnittlich 5,8 Prozentpunkten besonders hoch. Auf die Annahmen zu den Großhandelspreisen für Gas und Rohöl gehen rund die Hälfte dieser Fehlschätzung zurück. Nach Abzug der Prognosefehler, die auf alle weiteren Annahmen zurückgehen, sind rund 40 % der Fehlschätzung im Jahr 2022 durch andere Faktoren bestimmt. Diese umfassen beispielsweise nicht adäquat abgebildete Auswirkungen der Angebotsengpässe oder die Auswirkungen des veränderten Nachfrageverhaltens nach der Aufhebung der Beschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie.
  2. Die Lieferkettenprobleme haben in den letzten Jahren zu Angebotsengpässen und Kostensteigerungen bei der Industrieproduktion geführt, die teilweise auf die Konsumenten überwälzt wurden. Konsument:innen mussten dadurch vor allem für dauerhafte Konsumgüter wie Kfz und Möbel 2022 um annähernd 15 % mehr bezahlen als im Jahr davor. Diese Preissteigerungen liegen um mehr als das Zehnfache über dem langfristigen Durchschnitt. Da Prognosemodelle nur vergangene Zusammenhänge widerspiegeln, war eine solche Entwicklung ex ante nicht vorhersagbar.
  3. Die Fehler in der Dienstleistungsinflation waren vor allem darauf zurückzuführen, dass die Preise im Tourismus (Hotellerie, Gastgewerbe) nach der Wiederöffnung der Wirtschaft stärker als erwartet anstiegen. Sowohl eine hohe Nachfrage als auch die Personalknappheit bedingten hier einen Anstieg der Preise. In Österreich haben diese Dienstleistungen ein vergleichsweise hohes Gewicht bei der Inflationsberechnung. Damit tragen Abweichungen mehr zum Prognosefehler bei als in anderen Ländern.

Ist die OeNB die einzige Institution, die derartige Prognosefehler macht?
Leider (oder auch zum Glück für die OeNB) nicht! Sowohl WIFO als auch Consensus Economics machen Fehler in derselben Größenordnung (Tabelle 1). Die Prognosefehler sind nicht immer direkt vergleichbar, da die Institutionen mit unterschiedlichen Stichtagen arbeiten, bis zu denen neue Daten berücksichtigt werden. Im Vergleich zur OeNB kann das WIFO oftmals die realisierte Inflationsrate eines zusätzlichen Monats mit in die Prognose einbeziehen.

Tabelle 1 Prognosefehler für die Jahresinflationsrate Root Mean Squared Prediction Error (RMSE)  
Periode   Consensus Forecast   OeNB   WIFO    Anzahl der Prognosen
 
Q1 1999 – Q4 2023  0,66  0,43  0,40  100
Q1 1999 – Q4 2011  0,39  0,30  0,27  52
Q1 2012 – Q4 2020  0,24  0,16  0,19  32
Q1 2020 – Q4 2023  1,45  0,91  0,83  16
 


Wie die Prognose für Österreich zeigt die Prognose des Eurosystems für den Euroraum einen deutlichen Anstieg des Prognosefehlers seit der COVID-19-Pandemie. Auch die Genauigkeit der Eurosystem-Prognose für den Euroraum ist mit jener anderer Institutionen (Consensus Economics, Europäische Kommission, OECD) vergleichbar.

Wie geht es weiter?
In Phasen ohne außergewöhnliche Schocks erzielt das OeNB-Inflationsmodell eine hohe Prognosegenauigkeit. Die COVID-19-Pandemie und die nachfolgende Energiekriese haben zu massiven Umwälzungen geführt, die den Informationsgehalt von Indikatoren im Hinblick auf die Inflationsentwicklung beeinträchtigt haben. Die Prognosemodelle müssen dem Rechnung tragen und werden entsprechend adaptiert. Dies erfolgt durch die schrittweise Entwicklung zusätzlicher Modelle, die weitere Anhaltspunkte für volatile Elemente wie etwa die Gaspreise liefern, die bisher nicht explizit modelliert wurden. Ebenso kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) die derzeit verwendeten Modelle unterstützen. Gleichzeitig ist der Unsicherheitsspielraum der Vorhersagen deutlich größer geworden. In der Präsentation der Prognoseergebnisse sollte dies kommuniziert werden. Dies kann auch über Szenarioberechnungen erfolgen, die beispielsweise auf unterschiedlichen Annahmen zu den globalen Energiepreisen basieren und so den Unsicherheitsspielraum der Prognose verdeutlichen. Auch gewinnt Expert:innenwissen, das Modellergebnisse ergänzt, in Phasen wirtschaftlicher Umwälzung an Bedeutung. Darüber hinaus ist auch die Nutzung neuer und zeitnah verfügbarer Datenquellen anzustreben. Erste Schritte wurden schon mit dem Wage-Tracker und dem Webscraping-Projekt der OeNB gesetzt. Der Wage-Tracker, der aktuelle Lohnabschlüsse verfolgt, ist besonders wichtig für den lohnintensiven Dienstleistungssektor. Das Webscraping-Projekt sammelt Echtzeitpreise, die als Vorlaufindikatoren in die Prognose eingehen. Das Ziel muss sein, die Modelle so weit zu vervollständigen, dass die OeNB auch in turbulenten Zeiten präzise Prognosen liefert.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.