Makroprudenzielle Aufsicht
Die makroprudenzielle Aufsicht beschäftigt sich mit der Analyse und Reduktion von Systemrisiken im österreichischen Finanzsystem. Das zentrale Gremium ist das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG).
Laut Nationalbankgesetz ist die Reduktion von Systemrisiken in Österreich eine zentrale gesetzliche Aufgabe der OeNB. Sie erstellt die Analysen und schlägt dem FMSG gegebenenfalls Maßnahmen vor. Die makroprudenzielle Aufsicht ist ein nationales Mandat, während die Geldpolitik vom Eurosystem wahrgenommen wird. Die gesetzliche Verankerung der Reduktion von Systemrisiken ist eine richtige und wichtige Lehre aus der letzten Finanzkrise.
Ultimatives Ziel der makroprudenziellen Aufsicht ist die Wahrung der Finanzmarktstabilität. Diese ist gegeben, wenn das Finanzsystem – bestehend aus Finanzintermediären, Finanzmärkten und Finanzmarktinfrastruktur – auch im Fall von finanziellen Ungleichgewichten und Schocks in der Lage ist, Finanzmittel immer dort hinzuleiten, wo sie den höchsten volkswirtschaftlichen Nutzen bringen.
Was ist ein Systemrisiko?
Gefahren für die Finanzmarktstabilität verursachen sogenannte systemische Risiken. Sie können das gesamte Finanzsystem oder Teile davon stören und somit schwerwiegende negative Auswirkungen im Finanzsystem aber auch in der Realwirtschaft nach sich ziehen. Die Ursachen dafür sind vielfältig und umfassen unter anderem:
- Die starke Vernetzung zwischen den Finanzinstitutionen hebt das Ansteckungspotenzial deutlich und erhöht die Ansteckungsgeschwindigkeit in einem Krisenfall.
- Das Kreditangebot der Banken schwankt mit dem Konjunkturzyklus. Diese sogenannte „Prozyklizität“ führt dazu, dass in wirtschaftlich schlechten Zeiten weniger und in konjunkturellen Aufschwungphasen auch nicht nachhaltige Kredite vergeben werden.
- Die negativen Anreizeffekte, die im Finanzsystem bestehen, führen zu unerwünschtem Verhalten der am Markt Teilnehmenden, indem beispielweise riskantes Verhalten belohnt wird.
Warum ist eine makroprudenzielle Aufsicht notwendig?
Die Reduktion von Systemrisiken ist im Interesse aller am Markt Teilnehmenden. Anderenfalls würden alle, die sparen, anlegen, Geld aufnehmen und Kredit gewähren, ihr Vertrauen in das Finanzsystem verlieren, was negative Auswirkungen für die Wirtschaft insgesamt hätte. Die jüngste Finanzkrise (2008/2009) hat jedoch gezeigt, dass eine auf die Zahlungsfähigkeit und Stabilität von einzelnen am Finanzmarkt Teilnehmenden ausgerichtete (mikroprudenzielle) Aufsicht sowie eine auf die Preisstabilität fokussierte Geldpolitik allein keine Gewähr für die Stabilität des Finanzsystems bieten.
Diese Lücke zwischen der Bankenaufsicht und Geldpolitik wurde 2014 in Österreich durch die Einführung der makroprudenziellen Aufsicht, sprich der Aufsicht über das Finanzsystem im Ganzen, geschlossen.
Kosten und Nutzen der makroprudenziellen Aufsicht
Der Ansatz der makroprudenziellen Aufsicht stellt eine große Herausforderung dar, da Maßnahmen präventiv ergriffen werden müssen. Das bedeutet, die Aufsicht handelt auf Basis einer vorausschauenden Risikoeinschätzung, während sich die Wirtschaft noch in einer (nicht nachhaltigen) Wachstumsphase befindet und sich systemische Risiken aufbauen – z. B. über eine nicht-nachhaltige Kreditvergabe, über einen Anstieg der Vernetzungen oder über nicht nachhaltige Preisanstiege in bestimmen Vermögensklassen (Immobilien, Anleihen, Aktien, Rohstoffe). Diese vorausschauende Risikobewertung muss die OeNB durchführen.
Eine wirksame makroprudenzielle Aufsicht führt zwar zu kurzfristig höheren Kosten in Form von etwas höheren Kreditkosten, der Nutzen durch das Nichteintreten bzw. durch die geringeren Auswirkungen einer Krise wird diese Kosten langfristig aber übertreffen. Diesen Nachweis zu erbringen, obliegt der OeNB, was eine beträchtliche methodische Herausforderung darstellt. Die nachfolgende Grafik illustriert die Kosten von Finanzkrisen in der Vergangenheit, die durch eine wirksame makroprudenzielle Aufsicht reduziert werden sollen. Sie zeigt, dass eine Finanzkrise zu einem Wohlfahrtsverlust von durchschnittlich 33 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) führt. In Österreich wären das rund 131 Mrd EUR. Diese Kosten treten nicht in einem Jahr auf, sondern summieren sich über viele Jahre, da es oft sehr lange dauert, bis die Wirtschaftsleistung nach einer Krise wieder jenes Niveau erreicht, das ohne Krise zu erwarten gewesen wäre. Zudem haben Finanzkrisen häufig politische und gesellschaftliche Krisen, Zahlungsbilanzkrisen oder Staatsschuldenkrisen zur Folge. Besonders teuer sind Finanzkrisen, die eine Folge exzessiven Kreditwachstums sind. Sie kosten fast 50 % des BIP! Die direkten fiskalischen Kosten von Bankenrettungspaketen sind ebenfalls sehr hoch. Im Schnitt betragen sie rund 8 % des BIP; das wären in Österreich rund 30 Mrd EUR. Die Finanzkrise (2008/2009) verursachte in Österreich fiskalische Kosten in einer Größenordnung von rund 10 Mrd EUR bzw. 3 % des BIP.
Konsistenter und integrierter Ansatz zur Analyse systemischer Risiken
Bei der Analyse systemischer Risiken verfolgt die Oesterreichische Nationalbank einen umfassenden Ansatz, um Kosten von Bankenkrisen innerhalb des Sektors zu internalisierten und nicht auf die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler überzuwälzen. Dieser umfassende, integrierte Ansatz zielt auf Konsistenz zwischen makroprudenzieller Aufsicht, Abwicklung und Einlagensicherung ab. Zu diesem Zweck werden die Ergebnisse der Evaluierungen des Systemrelevante Institute-Puffers und des Systemrisikopuffers, der Tragfähigkeit der Einlagensicherung sowie der Glaubwürdigkeit und Durchführbarkeit von Abwicklungen miteinander verbunden. So kann sichergestellt werden, dass Institute, welche im Falle ihres Scheiterns Verwerfungen in der Finanz- und Realwirtschaft verursachen würden, identifiziert werden. In Folge können diese Institute einerseits mit höheren Kapitalpuffererfordernissen belegt werden, um sie krisenfester zu machen. Andererseits können diese Banken im Ernstfall auch besser abgewickelt werden, da sowohl ihre zusätzlichen Kapitalpuffer als auch jene der anderen Banken die gesamtwirtschaftlichen Kosten des Marktaustritts im Bankensystem internalisieren und für die Realwirtschaft reduzieren. Das österreichische Bankensystem ist dadurch in der Lage, größeren Schocks standzuhalten.