Stresstests

Ein Stresstest ist eine Methode der quantitativen Finanzmarktanalyse zur Beurteilung der Risikotragfähigkeit einzelner Banken sowie des gesamten Bankensystems. Dabei werden (Stress-)Szenarien festgelegt und ihre Auswirkungen analysiert. Einerseits untersucht die Bankenaufsicht die Kapitalausstattung und die Liquiditätssituation einzelner Institute. Hypothetische Verluste – bezogen auf die jeweiligen Szenarien – werden dabei vorhandenen Puffern gegenübergestellt. Andererseits dienen Stresstests in der Finanzmarktstabilitätsanalyse der Abschätzung des Systemrisikos, insbesondere auch der Wechselwirkungen zwischen einzelnen Instituten. Bei Letzteren werden oft realwirtschaftliche Krisenszenarien in ihren Auswirkungen auf das gesamte Bankensystem untersucht, man spricht daher auch von Makro-Stresstests.

Aktuelle Stresstestergebnisse – interaktive Webapplikation
 

Streng, aber plausibel! Das ist die Maxime, nach der Aufsichtsbehörden und Zentralbanken ihre Stressszenarien wählen. Denn der Stresstest soll einen echten Belastungstest für die beteiligten Banken darstellen, gleichzeitig aber realistisch und glaubwürdig bleiben. In der OeNB arbeiten deshalb die Bereiche Bankenaufsicht, Volkswirtschaft und Finanzmarktstabilität eng zusammen, um ausgehend von den Charakteristiken des österreichischen Bankensystems für Österreich, Europa und den Rest der Welt Szenarien zu entwickeln. Die gemeinsam entwickelten Szenarien dienen als Ausgangspunkt, um Risikofaktoren – zum Beispiel Kreditausfälle oder Schocks auf Immobilienpreise – zu bestimmen. Sie beschränken sich nicht nur auf klassische Wirtschaftskrisen, sondern bilden beispielweise auch die COVID-19-Pandemie oder Effekte einer CO2 Besteuerung ab. 

Die großen, öffentlich rezipierten Stresstests tragen sowohl im Vorfeld als auch nach Veröffentlichung der Ergebnisse zu substanziellen Kapitalerhöhungen bei und verbessern somit die Risikotragfähigkeit von Banken. Bei aller Erwartung, die an Stresstests gestellt wird, muss aber klar sein, dass sie „nur“ eine der Methoden der quantitativen Finanzmarktanalyse darstellen und kein Allheilmittel sind.

Eine kurze Entstehungshistorie der Stresstests

Stresstests haben ihren Ursprung im (Markt-)Risikomanagement von Banken. Bereits in den 1990er-Jahren wurden dabei vor allem Bewertungseffekte unter nachteiligen Kursentwicklungen – z. B. von Zinskurven oder Wechselkursen – untersucht.

In ihrer aktuellen Form hat vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF) im Rahmen der Financial Sector Assessment Programme (FSAP) den Einsatz von Stresstests weltweit gefördert. Auch in Österreich hat die OeNB während des ersten FSAP 2003 das Werkzeug erstmals flächendeckend eingesetzt. Eine Vielzahl an Vorarbeiten fand Eingang in die Stresstests für das österreichische Bankensystem, die im Zuge des IWF-FSAP entwickelt und durchgeführt wurden. Dabei wurden die Auswirkungen von Szenarien hinsichtlich Liquiditätsrisiko, unterschiedlicher Kredit- und Marktrisiken sowie zum Ansteckungsrisiko im österreichischen Bankensektor berechnet.

Durch die Krise des globalen Finanzsystems und die im Rahmen der Aufarbeitung durchgeführten US-Banken-Stresstests 2009 wurden Stresstests auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Eurpäische Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority, EBA) koordiniert gemeinsam mit dem European Systemic Risk Board (ESRB) vergleichbare Stresstests in Europa. Die EZB und die nationalen Aufsichtsbehörden – im Falle Österreichs die FMA und die OeNB – arbeiten dann an der Umsetzung. Der Koordinationsaufwand einer solchen internationalen Übung ist hoch, lohnt sich aber. So gewinnen Aufsichtsbehörden, Marktteilnehmer:innen und die allgemeine Öffentlichkeit vergleichbare Daten und eine konsistente Risikoeinschätzung.

2007 beteiligte die OeNB zum ersten Mal auch Banken selbst an der Berechnung von Makro-Stresstests. Zwischen 2007 und 2014 kam es zu einer Parallelanalyse derselben Szenarien durch die beteiligten Banken (so genannte Bottom-up-Stresstests) und die OeNB (so genannte Top-down-Stresstests). Diese Vorgehensweise hat sich international als bewährte Methode etabliert. Seit die EZB die direkte Aufsicht über die größten Banken übernommen hat, führt sie die Bottom-up-Stresstests für diese Institute durch, während die OeNB für den gesamten nationalen Bankensektor top-down rechnet. Dazu wurde in der OeNB 2013 ARNIE (Applied Risk Network and Impact Assessment Engine) implementiert, das heute in der laufenden Aufsicht regelmäßig zum Einsatz kommt.

International werden vermehrt Stresstestmodelle entwickelt, die ihren Berechnungen dynamische anstelle von statischen Bankbilanzen zugrunde legen – eine Methode, die in der OeNB seit 2024 auf Grundlage der bestehenden Stresstestinstrumente möglich ist. Aggregierte Ergebnisse werden von der OeNB im Finanzmarktstabilitätsbericht veröffentlicht. Neben dem jährlichen OeNB-Solvenzstresstest werden zusätzliche Analysen mit ausgewählten Themenschwerpunkten veröffentlicht, wie etwa der Stresstest zu Klimarisiken oder Berechnungen aus dem Dynamic Balance Sheet Model.