Stresstests
Was ist ein Stresstest?
Ein Stresstest ist eine Methode der quantitativen Finanzmarktanalyse zur Beurteilung der Risikotragfähigkeit einzelner Banken sowie des gesamten Bankensystems. Dabei werden (Stress-)Szenarien festgelegt und ihre Auswirkungen analysiert. Einerseits untersucht die Bankenaufsicht die Kapitalausstattung bzw. die Liquiditätssituation einzelner Institute. Hypothetische Verluste – bezogen auf die jeweiligen Szenarien – werden dabei vorhandenen Puffern gegenübergestellt. Andererseits dienen sie in der Finanzmarktstabilitätsanalyse der Abschätzung des Systemrisikos, insbesondere auch den Wechselwirkungen zwischen einzelnen Instituten. Bei letzteren werden oft realwirtschaftliche Krisenszenarien in ihren Auswirkungen auf das gesamte Bankensystem untersucht, man spricht daher auch von Makro-Stresstests.
Aktuelle Stresstestergebnisse – interaktive Webapplikation
Wie werden die Szenarien bestimmt?
Streng, aber plausibel! Das ist die Maxime, nach der Aufsichtsbehörden und Zentralbanken ihre Stressszenarien wählen. Denn der Stresstest soll ein echter Belastungstest für die beteiligten Banken darstellen, gleichzeitig aber realistisch und glaubwürdig bleiben. In der OeNB arbeiten deshalb die Bereiche Bankenaufsicht, Volkswirtschaft und Finanzmarktstabilität eng zusammen, um ausgehend von den Charakteristiken des österreichischen Bankensystems für Österreich, Europa und den Rest der Welt Szenarien zu entwickeln. Die gemeinsam entwickelten Szenarien dienen dann als Ausgangspunkt, um Risikofaktoren – zum Beispiel Kreditausfälle oder Aktienkurse – zu bestimmen.
Eine kurze Historie
Stresstests haben ihren Ursprung im (Markt-)Risikomanagement von Banken. Bereits in den 1990er-Jahren wurden dabei vor allem Bewertungseffekte unter nachteiligen Kursentwicklungen – z. B. von Zinskurven oder Wechselkursen – untersucht. Die Bedeutung von Stresstests im Bereich der Finanzmarktstabilitätsanalyse wurde bereits im ersten Finanzmarktstabilitätsbericht (FMSB) der OeNB, der im ersten Halbjahr 2001 erschienen ist, im Rahmen eines Schwerpunktartikels über Stresstests hervorgehoben. In der Folge wurden eine Reihe weiterer Studien durch die OeNB veröffentlicht, die unterschiedliche Aspekte von Stresstests für Bankensysteme zum Inhalt haben.
In ihrer aktuellen Form hat vor allem der Internationale Währungsfonds (IWF) im Rahmen der Financial Sector Assessment Programme (FSAP) den Einsatz von Stresstests weltweit gefördert. Auch in Österreich hat die OeNB während des ersten FSAP 2003 das Werkzeug erstmals flächendeckend eingesetzt. Viele der genannten Vorarbeiten fanden Eingang in die Stresstests für das österreichische Bankensystem, die im Zuge des FSAP des IWF entwickelt und durchgeführt wurden. Dabei wurden die Auswirkung von Szenarien hinsichtlich unterschiedlicher Kredit- und Marktrisiken sowie zum Ansteckungsrisiko im österreichischen Bankensektor und dem Liquiditätsrisiko berechnet.
In Österreich …
Seit dieser Zeit hat die OeNB in Zusammenarbeit mit österreichischen Universitäten und Fachhochschulen Pionierarbeit im Bereich der Stresstests geleistet. Internationale Beachtung widerfuhr dabei vor allem dem Systemic Risk Monitor (SRM), eine sowohl akademisch als auch aufsichtlich bahnbrechende Entwicklung, die es Analystinnen und Analysten ermöglicht, mit Hilfe eines eigens entwickelten Programms multiple Szenarien zu simulieren und auf deren Basis wesentliche Risikokategorien (Kredit- und Marktrisiken) simultan zu betrachten, sowie mögliche Ansteckungseffekte zwischen Banken zu quantifizieren.
Die Weiterentwicklungen des SRM mündeten schließlich in die Implementierung des Nachfolgeinstruments ARNIE (Applied Risk Network and Impact assessment Engine), welches heute in der laufenden Aufsicht regelmäßig zum Einsatz kommt.. Darüber hinaus hat die OeNB im Rahmen des zweiten FSAP 2007 zum ersten Mal auch Banken selbst an der Berechnung von Makro-Stresstests beteiligt. Zwischen 2007 und 2014 kam es zu einer Parallelanalyse derselben Szenarien durch die beteiligten Banken (so genannte Bottom-up-Stresstests) und die OeNB (so genannte Top-down Stresstests). Diese Vorgehensweise hat sich international als Best Practice etabliert. Seit die Europäische Zentralbank die direkte Aufsicht über die größten Banken übernommen hat, führt sie die Bottom-up-Stresstests durch, während die OeNB top-down rechnet. Aggregierte Ergebnisse werden von der OeNB im Financial Stability Report veröffentlicht.
… und Europa
Durch die Krise des globalen Finanzsystems und die im Rahmen der Aufarbeitung durchgeführten US Banken-Stresstests 2009 wurden Stresstests auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In Europa koordiniert die European Banking Authority (EBA) gemeinsam mit dem European Systemic Risk Board (ESRB) vergleichbare Stresstests. Die Europäische Zentralbank und die nationalen Aufsichtsbehörden – im Fall Österreichs die FMA und die OeNB – arbeiten dann an der Umsetzung. Der Koordinationsaufwand einer solchen internationalen Übung ist natürlich immens hoch, aber auch lohnenswert. So gewinnen Aufsichtsbehörden, Marktteilnehmer und die allgemeine Öffentlichkeit vergleichbare Daten und eine konsistente Risikoeinschätzung.
Hinzu kommt, dass die großen, öffentlich rezipierten Stresstests sowohl im Vorfeld, als auch nach Veröffentlichung der Ergebnisse zu substantiellen Kapitalerhöhungen beigetragen und somit die Risikotragfähigkeit verbessert haben. Dass es vor allem beim EU-weiten Stresstest in der Vergangenheit auch zu Problemen kam ist unbestritten, EBA und ESRB arbeiten deshalb von Stresstest zu Stresstest an der Verbesserung der multilateralen Qualitätssicherungsprozesse. Bei aller Erwartung, die an Stresstests gestellt wird, muss aber klar sein, dass sie „nur“ eine der Methoden der quantitativen Finanzmarktanalyse darstellen und sicher kein Allheilmittel sind.