Vor-Ort-Prüfungen und Modellgutachten

Vor-Ort-Prüfungen stellen neben der laufenden Beaufsichtigung von Kreditinstituten das zweite wesentliche Instrument der Bankenaufsicht dar. In Österreich ist dafür die OeNB zuständig. Seit Inkrafttreten des einheitlichen Aufsichtsmechanismus durch die EZB im November 2014 führt die OeNB Vor-Ort-Prüfungen für bedeutende Institute (significant institutions, SI) im Auftrag der EZB durch. Für weniger bedeutende Institute (less significant institutions, LSI) übt die EZB nur eine indirekte Aufsicht aus, sodass die Vor-Ort-Prüfungen wie schon bisher im Auftrag der FMA von der OeNB durchgeführt werden. Die in den Vor-Ort-Prüfungen gewonnenen Erkenntnisse bilden eine wichtige Basis für behördliche Maßnahmen der EZB und der FMA. Bei Vor-Ort-Prüfungen wird grundsätzlich unterschieden zwischen

  1. den Vor-Ort-Prüfungen im engeren Sinn und
  2. der Vor-Ort-Begutachtung von Risikomodellen.

Vor-Ort-Prüfungen im engeren Sinn beinhalten die detaillierte Überprüfung der Risikomanagementsysteme und -prozesse eines bestimmten Geschäfts- oder Risikobereichs eines Kreditinstituts sowie die stichprobenweise Überprüfung von Einzelgeschäften wie z. B. Kreditfällen. Bei der Vor-Ort-Begutachtung von Risikomodellen wird beurteilt, ob ein Kreditinstitut die Voraussetzungen für den Einsatz eines intern entwickelten Modells zur Berechnung des Eigenmittelerfordernisses erfüllt. Von der Aufsicht genehmigte Risikomodelle werden vor allem im Bereich des Kredit- und Marktrisikos eingesetzt. Kreditinstitute beantragen bei der EZB bzw. FMA ihre Bewilligung und die OeNB beurteilt als Gutachterin der Behörde die Eignung des Modells.

Beide Arten von Prüfungen grenzen sich von der laufenden Beaufsichtigung von Kreditinstituten ab, indem sie zeitlich begrenzt sind, in einem bestimmten Bereich sehr stark in die Tiefe gehen, von einem unabhängigen Team durchgeführt werden und in der Regel in den Räumlichkeiten des Kreditinstituts, also vor Ort, erfolgen.

grafik vor-ort-prüfungen

Aufgrund der starken Präsenz österreichischer Kreditinstitute in der CESEE-Region erfolgen bereits seit mehreren Jahren grenzüberschreitende Prüfungsaktivitäten der OeNB in diesen Ländern. Die Prüfungen von ausländischen Kreditinstitutseinheiten werden in Zusammenarbeit mit den zuständigen lokalen Aufsichtsbehörden durchgeführt. OeNB-Ressourcen werden darüber hinaus in Vor-Ort-Prüfungstätigkeiten bei Mutterkreditinstituten österreichischer SIs und im Rahmen des SSM-weiten Austausches von Prüferinnen und Prüfern eingesetzt („Gemischte Teams“).

Wie erfolgt die Planung von Vor-Ort-Prüfungen?

Die Erstellung des jährlichen Prüfprogramms erfolgt für SIs durch die EZB unter Beteiligung der FMA und der OeNB. Die Aufsichtsabteilungen der OeNB sind in den Planungsprozess stark eingebunden, da der SSM zur Durchführung der Vor-Ort-Prüfungen und Modellbegutachtungen auf die Vor-Ort-Prüfungskapazitäten der OeNB zurückgreift.

Für LSIs wird durch FMA und OeNB für das jeweils folgende Prüfungsjahr ein Prüfungsprogramm festgelegt, wobei die gesetzlich vorgesehenen Rahmenbedingungen (§ 70 Abs. 1b BWG) zu berücksichtigen sind. Das jährliche Prüfprogramm umfasst dabei auch Modellgutachten auf Basis der Modellantragspläne der Banken, sofern diese zum Planungszeitpunkt bereits bekannt sind.

Die Auswahl der Kreditinstitute für den jährlichen Prüfplan erfolgt sowohl für SIs als auch für LSIs in einem hohen Maße auf risikoorientierter Basis unter Berücksichtigung der systemischen Bedeutung der Kreditinstitute.

Im Anlassfall hat die OeNB das Recht und die Pflicht, die FMA um die Ausweitung einer laufenden Prüfung bzw. um die Einleitung einer im Prüfungsprogramm nicht vorgesehenen Prüfung zu ersuchen, wenn dies erforderlich erscheint. Zudem ist die OeNB berechtigt, Vor-Ort-Prüfungen gemäß § 70 Abs. 1c BWG aus makroökonomischen Gründen in eigener Initiative durchzuführen.

Wie ist der Ablauf einer Vor-Ort-Prüfung?

Zunächst ergeht ein Prüfauftrag der EZB bzw. FMA an die OeNB, der das Prüfgebiet beinhaltet. Das geprüfte Institut wird – so eine negative Beeinflussung des Prüfungszwecks durch eine Vorankündigung nicht anzunehmen ist – über die bevorstehende Prüfung verständigt und hinsichtlich organisatorischer Vorkehrungen sowie der zu liefernden Daten und Unterlagen vom Prüfungsteam kontaktiert.

Das Vor-Ort-Prüfungsteam der OeNB besteht aus der Prüfungsleitung und – abhängig von Prüfungsumfang und der Größe des Kreditinstitutes – einer entsprechenden Anzahl an Prüferinnen und Prüfern. Eine Prüfung umfasst üblicherweise die Beurteilung der relevanten Risikomanagementsysteme und -prozesse, deren interne Dokumentation sowie eine stichprobenhafte Überprüfung von Einzelgeschäften, z. B. Kreditfällen. Je nach Größe des Institutes und des zu überprüfenden Bereichs nimmt die Durchführung einer Vor-Ort-Prüfung in der Regel mehrere Wochen in Anspruch.

Nach Abschluss der Prüfung werden die Ergebnisse dem Kreditinstitut in einem Abschlussgespräch mitgeteilt. Die Erkenntnisse jeder Vor-Ort-Prüfung werden in einem umfassenden Prüfbericht dokumentiert, der anschließend der beauftragenden Stelle (EZB bzw. FMA) und der Bank zur Verfügung gestellt wird. Sowohl für SIs als auch LSIs ist für die Banken die Möglichkeit zur Stellungnahme vorgesehen, wenngleich die jeweiligen Prozesse im Detail unterschiedlich ausgestaltet sind.

Nach Abschluss der Vor-Ort- und Berichtsphase wird für SIs seitens des JST auf Basis des Prüfberichts ein „Follow-up letter“ an das geprüfte Kreditinstitut gerichtet und die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen und Empfehlungen weiter verfolgt. LSIs haben die Möglichkeit, auf den Prüfungsbericht Stellung zu nehmen und sind zur Erstellung eines Maßnahmenplans zur Behebung der aufgezeigten Mängel verpflichtet. Darüber hinaus ergreift die FMA, gegebenenfalls auf Basis des Prüfberichtes, der Würdigung der Stellungnahme durch die Prüferinnen und Prüfer sowie allfälliger weiterer Informationen durch die zuständige Analyseabteilung in der OeNB, behördliche Maßnahmen.

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Welche Besonderheiten gibt es bei Modellbegutachtungen?

Die Erstellung von Gutachten zu Risikomodellen erfolgt ähnlich zum oben geschilderten Prüfungsprozess. Ein Modellgutachten wird jedoch ausschließlich infolge des Antrages eines Kreditinstitutes vorgenommen und dient dem Modellbewilligungsverfahren. Risikomodelle können folgende Risikokategorien umfassen:

  • Kreditrisiken (Internal Ratings Based Approach)
  • Marktrisiken (Value at Risk-Modell) und
  • Operationelle Risiken (Advanced Measurement Approach – AMA-Modell)
  • Eigene Volatilitätsschätzungen (umfassende Methode) für kreditrisikomindernde Techniken und
  • Interne Modelle zur Bestimmung des Forderungswertes bestimmter Bankgeschäfte.

In Abgrenzung zu den von Kreditinstituten beantragten Modellbewilligungsverfahren hat die EZB ein Projekt initiiert, um die derzeit in Verwendung befindlichen bankinternen Modelle zur Berechnung des Kreditrisikos und des Marktrisikos einer systematischen Prüfung zuzuführen. Zweck dieses SSM-weiten Großprojekts - TRIM (Targeted Review of Internal Models) ist:

  1. die konforme Implementierung von Risikomodellen sowie die Harmonisierung der Aufsichtspraxis im SSM
  2. die korrekte Modellierung von Risiken durch die Banken, um eine adäquate Berechnung des Kapitalbedarfs sicherzustellen
  3. die Publikation eines Handbuchs, welches bestehende Interpretationsspielräume der Regulierung von Risikomodellen reduziert
  4. die risikobasierte Auswahl von Risikomodellen für eine tiefgehende Vor-Ort-Begutachtung

Das TRIM-Projekt soll die ungerechtfertigte Variabilität in den Eigenmittelerfordernissen reduzieren und als effektives Instrument zur Schaffung gleicher Rahmenbedingungen im SSM dienen. Die Ergebnisse des TRIM-Projekts werden in der laufenden Modellaufsicht dauerhaft Verwendung finden und so zu einer weiteren Stärkung der Aufsichtsarbeit im Bereich der Risikomodelle beitragen.

Nach der im Jahr 2016 erfolgten Projektvorbereitungsphase, in die sich die OeNB aufgrund ihrer Modell-Expertise konzeptionell bedeutend einbringen konnte, gilt die Konzentration seit April 2017 den Vor-Ort-Modellbegutachtungen. Die Modellexperten der OeNB unterziehen in dieser arbeitsintensiven Phase die bei den österreichischen Großbanken eingesetzten internen Modelle einer tiefgehenden Prüfung. Dabei werden über 50 % aller verwendeten internen Modelle in Österreich sowie bei den ausländischen Töchtern österreichischer Großbanken abgedeckt.