Violine, Antonio Stradivari, Cremona, 1694, „ex Benecke“
Originaler Druckzettel: „Antonius Stradiuarius, Cremonensis / Faciebat Anno 1694“ (94 handschriftlich)Stradivaris lange Schaffenszeit wird in Perioden eingeteilt, deren Abgrenzung häufig durch die Entwicklung bzw. Bevorzugung gewisser Korpusmodelle erfolgt. Der Begriff „Modell“ beinhaltet in diesem Fall die Größe des Korpus, die Proportionen der drei Korpusteile und die Form der Wölbung. Bis ungefähr 1690 experimentierte Stradivari mit unterschiedlichen Modellen, wobei viele Instrumente Merkmale von Nicolò Amati aufweisen. Instrumente aus dieser frühen Periode werden häufig als „Amatisé“ bezeichnet. Nach 1690 entwickelte Stradivari ein Modell, das eine neue Entwicklung einleitete. Die Korpusse dieser Instrumente sind um einige Millimeter länger und auch flacher gewölbt. Offensichtlich wollte Stradivari durch den längeren Korpus dem Klang vor allem der beiden tiefen Saiten ein dunkleres Timbre geben. Diese lang gestreckten und schlank wirkenden Instrumente, zu denen auch die „ex Benecke“ aus dem Jahr 1694 zählt, werden heute als „long pattern“ bezeichnet. Im Museo del Violino in Cremona werden bis heute zahlreiche Werkstattutensilien Stradivaris aufbewahrt. Darunter befinden sich auch einige Innenformen, über denen die Instrumente des Meisters gebaut wurden. Eine dieser Formen mit der Bezeichnung „B“ (Inv. Nr. MS 33), ist mit 3. Juni 1692 datiert. Die Proportionen dieser Innenform stimmen sehr gut mit dem Verlauf des Zargenkranzes der „ex Benecke“ Stradivari überein und es ist gut möglich, dass das Instrument über dieser Form gebaut wurde.
Die geteilte Decke dieser Violine ist in der Mitte sehr feinjährig, die Breite der Jahresringe nimmt zum Rand hin zu. Ihre durchschnittliche Breite beträgt nur 0,64 mm. Der jüngste Jahresring der Decke konnte mit 1683 bestimmt werden und die dendrochronologische Untersuchung ergab, dass Stradivari Holz vom selben Stamm für weitere Instrumente verwendete, die in zeitlicher Nähe entstanden sind. Der zweiteilige Boden besteht aus Ahornholz, das im Spiegel geschnitten ist. Es zeigt enge, intensive Flammen, die von der Mitte leicht zum Rand abfallen. Die Zargen sowie der Kopf weisen eine sehr ähnliche Holzstruktur auf. Decke und Boden sind weniger hoch gewölbt als bei Instrumenten, die dem Amatisé-Modell entsprechen. Stradivari hatte zu dieser Zeit den Höhepunkt seiner handwerklichen Fähigkeiten erreicht, dementsprechend makellos ist die Gestaltung der Einlage und der Ränder. Auch die F-Löcher sind perfekt proportioniert und sauber gearbeitet. Das trifft auch auf Wirbelkasten und Schnecke zu, deren Ränder ursprünglich mit dunklem Lack konturiert waren. Der Erhaltungszustand des Instruments ist außergewöhnlich gut, was auch den intensiven, rötlich-braunen Lack betrifft.
Die Geige ist nach der Familie Benecke benannt, in deren Besitz sich das Instrument fünf Jahrzehnte befand. Levin Anton Wilhelm Benecke kam 1776 in Hannover zur Welt, erhielt bereits als Kind Musikunterricht, wurde aber schließlich Geschäftsmann und Jurist. Als die Napoleonischen Truppen Hamburg besetzten, floh er 1813 nach England. Mit Unterstützung anderer Emigranten baute er in London neuerlich ein Unternehmen auf und war damit äußerst erfolgreich. Daneben pflegte er als Amateur die Hausmusik und sorgte auch bei seinen Kindern für eine gute musikalische Ausbildung. Sein Sohn Friedrich Wilhelm (1802–1865) führte diese Tradition weiter, zu seinem Freundeskreis zählten auch Felix Mendelssohn-Bartholdy und Joseph Joachim, die im Haus Benecke häufig zu Besuch waren und dort musizierten. 1862 kaufte Benecke die Stradivari bei Arthur Betts in London. Damals kostete das Instrument mit Etui und Bogen 135 GBP. Auch nach seinem Tod blieb die Geige in Familienbesitz. Arthur Hill, zu seiner Zeit der beste Kenner von Stradivaris Instrumenten, bezeichnete sie 1894 in seinem Tagebuch als „probably the finest of the long pattern that we know of“. Hill konnte die Geige schließlich 1914 erwerben und beschrieb sie ausführlich in seinem Standardwerk über Stradivari.
Leihnehmer: Dalibor Karvay