Violine, Giuseppe Guarneri filius Andreae, Cremona, nach 1732, „ex Guilet“
Druckzettel: „Ioseph Guarnerius Filius Andreæ Fecit / Cremonæ, sub Titulo S. Theresię 1715“ (15 handschriftlich)Obwohl der Druckzettel im Instrument nicht original ist, wird die Geige aufgrund stilistischer Merkmale Giuseppe Guarneri filius Andreae (gestorben 1740) zugeschrieben. Laut einem dendrochronologisches Gutachten stammt der späteste Jahresring der Decke aus dem Jahr 1732. Das Instrument muss daher in Guarneris letzten Lebensjahren entstanden sein. Heute geht die Forschung davon aus, dass Guarneri in dieser Zeit wenige eigene Instrumente baute und hauptsächlich für seinen Sohn Giuseppe Guarneri del Gesù zuarbeitete. Das hochgewölbte, kräftige Modell dieser Geige unterscheidet sich im Umriss und in der Stellung der F-Löcher deutlich von den Arbeiten des Sohnes. Die Decke ist zweiteilig mit regelmäßigen, mittelbreiten Jahresringen, die leicht gehaselt sind. Der Boden im Spiegelschnitt ist einteilig und zeigt enge Flammen, die zur Bassseite leicht abfallen; diskantseitig ist ein schmaler Flügel angesetzt. Die Zargen sind ebenfalls im Spiegel geschnitten und haben breitere Flammen. Die F-Löcher sind schwungvoll geschnitten und weisen große, etwas unregelmäßig gestaltete untere Kugeln auf. Der kräftige Rand wird von einer Einlage begrenzt, die etwas unregelmäßig ausgeführt ist. Die sehr kräftige Schnecke zeigt noch deutliche Werkzeugspuren. Über einem goldgelben Grund liegt ein orange-rotbrauner Farblack. Der Gesamtzustand des Instruments ist gut. Die Geige weist ein bauliches Merkmal auf, das typisch ist für Geigenbauer, die in der Tradition Nicolò Amatis stehen. Es ist bei Geigen aller Mitglieder der Guarneri Familie anzutreffen. In den Böden dieser Instrumente befindet sich im akustischen Zentrum, etwa 19 cm vom unteren Ende entfernt, eine kleine konische Bohrung, die oft nur auf einem Röntgenbild oder nach einer Computertomografie zu erkennen ist. Der Zweck dieser Bohrung ist nicht mit Sicherheit geklärt. Vermutlich wurde sie vor dem Ausdünnen des Bodens angebracht, um beim Abtragen des Holzes die Stärke kontrollieren zu können.
Die Geschichte des Instruments lässt sich zum Geigenbauer Louis Fernand Billottet (1895 – 1947) zurückverfolgen, der es an den Geiger Daniel Guilet (1899–1990) verkaufte. Dieser wurde als Daniel Guilevitch in Rostow geboren und wuchs in Paris auf. Am dortigen Konservatorium studierte er bei George Enescu. 1941 ging Guilet in die USA, wo er als Konzertmeister des NBC Symphony Orchestra unter Arturo Toscanini spielte. Guilet war Gründungsmitglied des berühmten Beaux Arts Trios. Die Guarneri war von 1965 bis 1973 sein Konzertinstrument. 1973 wurde sie an Dr. Herbert R. Axelrod verkauft, der sie in der Folge Henryk Szeryng, David Oistrach und Joshua Bell zur Verfügung stellte.
Lidia Baich, Violine (Giuseppe Guarneri, filius Andreae, Cremona nach 1732, „ex Guilet“); Radio-Symphonieorchester Wien, Dirigent Bertrand de Billy.