Kommt es zu einer Änderung der Güterhandelsströme aufgrund von Exportsanktionen gegen Russland?

18.10.2024

Klaus Vondra

Nach Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine im Frühjahr 2022 wurden die seit 2014 bestehenden EU-Sanktionen gegen Russland in mehreren Schritten deutlich ausgeweitet. Einen Überblick zu allen Sanktionen liefert z. B. der Europäische Rat. Diese Ausarbeitung konzentriert sich auf die exportbezogenen Verbote und wie sich die Güterhandelsströme seit deren Verhängung entwickelt haben. Datenbasis bildet die Außenhandelsstatistik (Eurostat Comext und UN Comtrade).  

Rückgang der österreichischen Güterexporte nach Russland um fast 40 %
Nach Einführung der verschärften Sanktionen Anfang 2022 kam es zu einem abrupten Einbruch der nominellen Güterexporte aus der EU nach Russland. Auch die österreichischen Exporte nahmen ab, der Rückgang erfolgte jedoch nicht so abrupt und war in Summe auch etwas geringer als im EU-Durchschnitt. So gingen die Güterexporte Österreichs nach Russland 2022 um nur 10 % zurück, während jene der EU um 38 % schrumpften. Bis zum Jahr 2023 summierten sich die Rückgänge auf 37 % (Österreich) bzw. 57 % (EU). In 23 EU-Ländern schrumpften die nominellen Güterexporte zwischen 2021 und 2023, wobei in Rumänien, Tschechien, Finnland, Dänemark, Luxemburg und Malta der Rückgang mehr als 75 % betrug. Im Gegensatz dazu exportierten Kroatien, Lettland, Bulgarien und Slowenien 2023 nominell sogar mehr Güter nach Russland als 2021.

Für den im EU-Durchschnitt etwas schwächeren Rückgang der Güterexporte Österreichs nach Russland sind zwei Faktoren verantwortlich: Erstens weist Österreich im Vergleich zur EU einen höheren Anteil von chemischen Erzeugnissen aus (2021: 33 % vs. 23 %). Hierbei handelt es sich überwiegend um Medikamente, die von den EU-Sanktionen ausgenommen sind. Zweitens ist die Bedeutung der von den Sanktionen hauptsächlich betroffenen Produktgruppe Maschinen und Fahrzeuge (SITC 7) unterschiedlich: Deren Anteil an den gesamten Güterexporten 2021 lag in Österreich bei 32 %, in der EU bei 45 %. Hinzu kommt aber auch, dass die Rückgänge in diesen Bereichen in Österreich geringer waren als im EU-Durchschnitt (–62% vs. –82%). Der EU-Durchschnitt selbst wird stark von der Entwicklung des deutschen Außenhandels getrieben, der beinahe ein Drittel der gesamten EU-Ausfuhren nach Russland erklärt. Deutschland verzeichnete einen Güterexportrückgang von zwei Dritteln, im Bereich der Maschinen und Fahrzeuge von 85%.

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Direktexporte nach Russland werden wohl über Drittstaaten umgeleitet
Im selben Zeitraum stiegen die Exporte in die GUS-Staaten1 ohne Russland an – in Summe über die beiden Jahre 2022 und 2023 um 26 % (Österreich) bzw. 38 % (EU). Merklich stärker stiegen die Exporte von Maschinen und Fahrzeugen: +95 % aus Österreich sowie +105 % aus der EU. Auch für die Ausfuhren in die Türkei, schon vor 2022 ein bedeutender Handelspartner für Europa, wurde ein kräftiges Plus verzeichnet: +34 % (Österreich, SITC 7: +65 %) bzw. +42 % (EU, SITC 7: +77 %). In die Türkei wurden 2023 Güter aus der EU mit einem beinahe dreieinhalb Mal so hohen Wert (109 Mrd EUR) exportiert als in die GUS (32 Mrd EUR). Auffällig ist auch der Anstieg der Ausfuhren in die Vereinigten Arabischen Emirate (+31 % / 38 Mrd EUR), Hong Kong (+10 %/ 26 Mrd EUR) und nach Serbien (+28% / 23 Mrd EUR). Dem Minus im Güterexport, im Speziellen im Bereich der (vielfach sanktionierten) Maschinen nach Russland steht also ein kräftiges Plus in jene Länder gegenüber, die häufig im Zusammenhang mit möglichen Umgehungen der Sanktionen genannt werden. Dies gilt neben dem wichtigsten Exporteur Deutschland auch für die nächstgrößeren EU-Exporteure Polen, Italien, die Niederlande und Frankreich. Die Entwicklung der Außenhandelsströme deutet also darauf hin, dass sanktionierte Exportgüter umgeleitet wurden. Auch die Ergebnisse anderer Studien zeigen, dass Sanktionen umgangen werden.2 Solche potenziellen Umgehungen sollten bereits durch frühere Sanktionspakete der EU sowie durch die zusätzlichen Sanktionen der USA unterbunden werden. Auch das jüngste, 14. Sanktionspaket der EU zielt darauf ab, die zuständigen nationalen Behörden bei der Durchsetzung der Sanktionen zu unterstützen und die Umgehung von Sanktionen zu verhindern.

Für eine weiterführende detaillierte Analyse zu den Wirkungsweisen und möglichen Umgehungsstrategien der Sanktionen müsste die Liste von sanktionierten Gütern (siehe Anhang VI) in eine klassische Handelsstatistik überführt werden. Anstelle dieser komplexen Zuordnung verwenden wir im Folgenden eine Annäherung: Wir definieren für das EU-Aggregat auf 5-Steller-Ebene der SITC-Güterklassifikation all jene Produktklassen als sanktioniert, für die ein Rückgang der Exporte nach Russland von mehr als 80 % gemessen wurde, andernfalls gilt die Güterklasse als nicht sanktioniert. Auf EU-Ebene weisen 1.432 von 3.009 Produktklassen einen Rückgang von mehr als 80 % aus. Davon sind 436 von 642 Güterklassen im Bereich der Maschinen und Fahrzeuge betroffen. Das entspricht mehr als einem Drittel der gesamten Güterexporte nach Russland im Jahr 2021 und drei Vierteln des Güterexportvolumens im Bereich Fahrzeuge und Maschinen. Im Weiteren wurde die Exportentwicklung dieser Produktklassen nicht nur für die Exporte nach Russland, sondern auch für die Exporte in die bereits oben genannten Länder Türkei, Vereinigte Arabischen Emirate, GUS, Hong Kong und Serbien analysiert.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Analyse sind:

  • 2022 und 2023 sind die Güterexporte im Bereich der sanktionierter Produktklassen gemäß unserer Abgrenzung von Österreich/der EU nach Russland um 605 Mio/41,8 Mrd EUR zurückgegangen.
  • Im selben Zeitraum sind die Exporte dieser Güter in die oben genannten Länder (TK, XS, AE, GUS und HK) deutlich angestiegen. So liegt beispielsweise das Plus bei den „sanktionierten“ Güterexporten aus Österreich (der EU) in die GUS bei über 112 % (105 %), in die Türkei bei 31 % (45 %) und Serbien bei knapp 35 % (29 %). Im Bereich der Maschinen ist der Zuwachs weit stärker ausgeprägt: GUS: 125 % / 118 %, Türkei: 61 % / 83 %, Serbien: 60 % / 37 %. Vor allem die Entwicklung im Bereich der Maschinen ist ein Indiz für mögliche Umgehungen/Umlenkungen im Güterhandel in Folge der EU-Sanktionen gegen Russland.
  • Der Anstieg der „sanktionierten“ nominellen Güterexporte in diese Länder kompensiert den Rückgang nach Russland in Österreich, Deutschland und der EU beinahe, in Frankreich und Italien übersteigt er diesen sogar. In Summe über alle untersuchten Exportdestinationen belaufen sich die Rückgänge Österreichs und der EU auf „nur“ mehr 36 Mio EUR bzw. 964 Mio EUR. Im Fall von Frankreich oder Italien ergibt sich sogar ein nominelles Plus von 634 Mio EUR bzw. 1.188 Mio EUR. Das entspricht einem Minus von 1,3 % für Österreich bzw. 0,7 % für die EU. Frankreich und Italien verzeichnen ein Plus 4,5 % bzw. 8,1 %.

Der Analyse liegen nominelle Güterströme zugrunde. Unter Berücksichtigung der Inflation – die Preise für Industriegüter stiegen im Beobachtungszeitraum in Österreich um 20 % bzw. in der EU um 11 % – ergeben sich real deutlich stärkere Rückgänge, im Fall von Frankreich und Italien kam es wohl im Bereich der sanktionierten Güter real zu einer Stagnation auf dem Niveau von 2021.

Veränderung der nominellen Güterexporte in Mrd EUR und %, 2021–2023:

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Abschließend wäre eine detaillierte Analyse der bilateralen Handelsströme zwischen den GUS-Staaten (prozentuell stärkster Anstieg) sowie der Türkei (absolut stärkster Anstieg) und Russland interessant, um weitere Hinweise auf mögliche Sanktionsumgehungen zu finden. Aber selbst auf Makroebene liegen keine bilateralen Güterexportdaten zwischen den GUS-Staaten und Russland vor. Daten für die Türkei zeigen jedoch, dass die bilateralen Güterexporte aus der Türkei nach Russland zwischen 2021 und 2023 sprunghaft angestiegen sind (+89 %), während die türkischen Güterexporte insgesamt nur um 14 % gewachsen sind. Der Exportzuwachs ist stark auf den Bereich Maschinen und Fahrzeuge zurückzuführen. Die nominellen Güterexporte in diesem Bereich haben sich zwischen 2021 und 2023 mehr als verdoppelt.

Die vorliegende Auswertung kann keine Einzelfallprüfung ersetzen. Die hier angewandte Methode liefert daher aufgrund der beschriebenen Vereinfachungen nur Indizien, aber keine harte Evidenz für die tatsächliche Umgehung von Sanktionen. Die hier präsentierten Analyseergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass die getroffenen Exportsanktionen der EU gegen Russland in den letzten zwei Jahren weitreichend umgangen wurden.

1 Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan.
2 Eine Studie der IÈSEG (Autor Eric Dor) vom Februar 2024 belegt statistisch, dass die EU-Sanktionen gegen Russland über Drittländer massiv umgangen wurden. Eine Studie der Kyiv School of Economics (KSE) schlüsselt eindrucksvoll Güterströme sanktionierter Güter auf, die ursprüngliche Datenquelle bleibt hierbei jedoch unerwähnt.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.