KIM-V bietet durch großzügige Ausnahmen viel Spielraum für Einzelfälle

08.07.2024

Stefan W. Schmitz

Der zweite Blog-Beitrag in der Serie zur Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-V) widmet sich den Ausnahmen von den Bestimmungen sowie ihrer Nutzung durch die Banken und Haushalte:
Seit ihrer Einführung wird von verschiedenen Seiten wiederholt die Sorge geäußert, dass viele Kreditanträge nur wegen der KIM-V abgelehnt werden müssten und diese daher hauptverantwortlich für die geringere Neukreditvergabe ist. Rezente Daten der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) zeigen, dass die KIM-V viel Spielraum in der Kreditvergabe für Einzelfälle erlaubt und Banken sowie Haushalten noch großzügige Mittel aus ungenutzten Ausnahmekontingenten zur Verfügung stehen.

Vereinheitlichung der Ausnahmekontingente mit 1. Juli 2024
Ziel der OeNB ist es mit der Verordnung für nachhaltige Vergabestandards bei der Finanzierung von Wohnimmobilien (kurz KIM-V), die zunehmenden systemischen Risiken bei der Kreditvergabepraxis zu begrenzen. Die Kriterien der KIM-V –  Beleihungsquote max. 90 %,  das heißt ca. 90 % der Immobilie, die als Sicherheit dient, können über einen Kredit finanziert werden; Schuldendienstquote max. 40 %; Laufzeit max. 35 Jahre – sind mit europäischen Standards vergleichbar. Dennoch kann es Einzelfälle geben, die diese Standards zwar nicht erfüllen, aber trotzdem kreditwürdig sind. Um in diesen Einzelfällen trotzdem Kredite vergeben zu können, wurde in der KIM-V durch großzügige Ausnahmekontingente viel Spielraum für die Banken geschaffen.

Mit 1. Juli 2024 wurde gemäß § 6 KIM-V ein einheitliches, institutsbezogenes Ausnahmekontingent von 20 % des Volumens neuer Wohnimmobilienfinanzierungen eingeführt.  Die bisherigen, auf spezifische Kennzahlen bezogenen Ausnahmekontingente, wurden abgeschafft, um den Verwaltungsaufwand für Banken zu verringern.

Die Ausnahmen von der KIM-V bieten hinreichend Spielraum in der Kreditvergabe
Dieses formale Ausnahmekontingent der KIM-V ist im internationalen Vergleich großzügig und ermöglicht den Banken eine hohe Flexibilität bei der Kreditvergabe, wie vom Internationalen Währungsfonds (IWF) in seiner Artikel-IV-Konsultation 2024 bestätigt. Die meisten der EU-Mitgliedstaaten, die Maßnahmen setzen, haben geringere Ausnahmekontingente (siehe ESRB-Website).

Die tatsächlichen Ausnahmekontingente (AK) sind allerdings noch höher.

Als erste Gruppe kommen jene Hypothekarkredite hinzu, die von der Anwendung der KIM-V gänzlich ausgenommen sind. Das sind vor allem geringfügige Kredite in der Höhe von 50.000 EUR pro Person im Haushalt (bis 2 % der Neufinanzierungen als institutsbezogenes Geringfügigkeitskontingent) sowie Zwischenfinanzierungen (ZF). Zwischenfinanzierungen sind Hypothekarkredite, die z. B. aufgenommen werden, um ein neues Haus zu finanzieren, bevor das alte verkauft ist, oder bevor ein zugesagter und nicht rückzahlbarer Eigenmittelzuschuss aus der Wohnbauförderung ausbezahlt wird.
Als zweite Gruppe können institutsspezifische Mindestausnahmekontingente in der Höhe von mindestens 1 Mio EUR pro Halbjahr die tatsächlichen Ausnahmekontingente über 20 % anheben. Diese Ausnahme wurde geschaffen, um dafür zu sorgen, dass auch Banken mit relativ geringer Kreditvergabe in jedem Fall ein gewisses Ausnahmekontingent zur Verfügung haben. Die geringfügigen Kredite machten im H2 2023 1,6 % der Neukreditvergabe aus. Die Zwischenfinanzierungen summierten sich auf 6,6 % der Neukreditvergabe (siehe Grafik). Unter Berücksichtigung dieser beiden Gruppen betragen die Ausnahmen in der Regel fast 30 %.

Bei fallender Kreditnachfrage können die Ausnahmen auch über 30 % liegen: Die Banken dürfen die Ausnahmekontingente nämlich sowohl auf Basis der Kreditvergabe der aktuellen Periode als auch jener der Vorperiode berechnen. Das wirkt in einem Abschwung antizyklisch. Denn ist die Kreditnachfrage in der laufenden Periode niedriger als in der vorhergehenden, ist die Bemessungsgrundlage für die Ausnahmekontingente etwas höher und der tatsächliche Anteil der Ausnahmen am laufenden Neukreditvolumen steigt. Die KIM-V erlaubt also eine noch größere Flexibilität, wenn die Nachfrage zurückgeht.

Die Maßnahme hat sich auch unter Berücksichtigung der hohen Flexibilität als effektiv erwiesen. Die Kreditvergabestandards haben sich seit ihrer Einführung deutlich gebessert und sind nun nachhaltig.

Banken nutzen Ausnahmekontingente nicht – im Jahr 2023 hätten noch 1 Mrd EUR an zusätzlichen Hypothekarkrediten vergeben werden können
Im zweiten Halbjahr 2023 schöpften 45 % der österreichischen Banken das maximale Ausnahmekontingent pro Bank (IBA) nicht einmal zur Hälfte aus (siehe unten stehende Grafik). Bei fast 80 % der Banken betrug das freie Ausnahmekontingent mindestens 20 % der Neukreditvergabe. Folglich erlaubt die KIM-V noch viel Spielraum für Einzelfälle, die aufgrund ihrer individuellen Besonderheiten zwar die KIM-V-Kriterien nicht erfüllen, aber dennoch kreditwürdig sind.

In Summe wären im Jahr 2023 so noch 1 Mrd EUR an zusätzlichen Krediten für den Erwerb von Wohnimmobilien zur Verfügung gestanden.

Die Daten belegen, dass der Rückgang der Hypothekarkreditvergabe durch andere Faktoren als die KIM-V bedingt ist; z. B. durch die hohen Zinsen und Immobilienpreise.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.