Wohnimmobilienkredite gehen uns alle etwas an
10.05.2024Stefan W. Schmitz
Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen, wie die in der Öffentlichkeit viel diskutierte KIM-V (Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung), sind zur Wahrung der Finanzmarktstabilität notwendig. Sie verhindern den Aufbau systemischer Risiken auf dem österreichischen Finanzmarkt, indem sie eine langfristig nachhaltige Kreditvergabe an Haushalte zur Finanzierung ihrer Wohnimmobilien sicherstellen. Die OeNB bietet auf dieser Seite einen vertiefenden Einblick in die Methodik ihrer Analyse.
Vergabe von Wohnimmobilienkrediten wurde 2023 deutlich nachhaltiger
Jüngste Zahlen bestätigen, dass die Kreditvergabe in Österreich seit Einführung der KIM-V deutlich nachhaltiger geworden ist. Während im ersten Halbjahr 2021 rund 12 % der neu vergebenen Wohnbaukredite an private Haushalte als nachhaltig eingestuft werden konnten, hat sich das Bild seither gedreht. Im zweiten Halbjahr 2023 erfüllten bereits 80 % der neuen Wohnbaukredite angemessene Nachhaltigkeitskriterien (Beleihungsquote max. 90 %, das heißt ca. 90% der Immobilie, die als Sicherheit dient, können über einen Kredit finanziert werden; Schuldendienstquote max. 40 %; Laufzeit max. 35 Jahre) – zum langfristigen Wohl für das Finanzsystem und die Haushalte (Quelle: OeNB).
Wohnimmobilienkredite sind auf dem österreichischen Finanzmarkt wichtig
Wohnimmobilienkredite stellen einen großen Teil des Portfolios vieler österreichischer Banken dar; sie hängen besonders in Krisenzeiten stark zusammen. Das heißt, dass in Wirtschaftskrisen zahlreiche Haushalte zugleich Probleme bekommen können, ihren Kredit zu bedienen. Die Auswirkungen zeigen sich dann in den Bilanzen zahlreicher Banken zugleich. Zudem sind Wohnimmobilienkredite auch mit Teilen des Gewerbeimmobilienportfolios (z. B. über Bauträger) verflochten. In der Folge können viele Banken zugleich von einer Verschlechterung ihrer Kreditqualität und damit ihrer Eigenkapitalposition betroffen sein. Dies kann die Finanzmarktstabilität gefährden. In Summe geht es bei kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen direkt und indirekt um die Sicherheit von rund 40 % der inländischen Kredite der österreichischen Banken (Quelle: OeNB/EZB). Derzeit gibt es über das gesamte Wohnimmobilienportfolio kein systemisches Problem mit der Kreditqualität. Da Hypothekarkredite als besonders sicher gelten und daher geringe Margen aufweisen sowie mit wenig Eigenkapital und viel Fremdkapital finanziert werden, muss das auch so bleiben – die KIM-V soll dem Aufbau von Systemrisiken vorbeugen.
Nicht nachhaltige Kreditfinanzierungen verstärken eine steigende Preisdynamik auf dem Immobilienmarkt und können zu einer Finanzkrise führen
Steigen die Immobilienpreise stärker als die Einkommen der potenziellen Käufer:innen, müssen sich diese in Relation zum verfügbaren Einkommen immer höher verschulden. Die Folge ist ein Anstieg der Kredite mit nicht nachhaltigen Vergabestandards: Lag der Anteil an neu vergebenen Krediten, die mehr als das 6-Fache des verfügbaren Einkommens der Kreditnehmer:innen ausmachten, 2011 noch bei ca. 17 %, stieg er bis 2022 deutlich auf 55 % an (Quelle: OeNB). Wird diese Dynamik nicht durch die Einführung von Mindeststandards für Kredite unterbrochen, finanzieren höhere Kredite mit nicht nachhaltigen Kreditvergabestandards stetig weiter steigende Immobilienpreise, die wiederum eine weitere Verschlechterung der Kreditvergabestandards nach sich ziehen (vgl. Cerutti, Dangher und Dell’Ariccia 2017). Auch grundsätzlich vorsichtigere Banken können sich durch den Wettbewerb um Marktanteile gezwungen sehen, ihre Kreditvergabestandards zu senken. Nicht nachhaltige Kreditvergabestandards erhöhen die Ausfallswahrscheinlichkeit, d. h., dass Kreditnehmer:innen ihre Wohnimmobilienkredite nicht mehr bezahlen können (Gaudencio, Mazany und Schwarz 2019). Eine Verschlechterung der Kreditvergabestandards führte in der Vergangenheit in zahlreichen Ländern zu Finanzkrisen (vgl. Baudino, Murphy, und Svoronos (2020) oder Baudino, Herrera und Restoy (2023)).
Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen verhindern den Aufbau von systemischen Risiken
Vor diesem Hintergrund sind kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen notwendig, um nachhaltige Kreditvergabestandards mittel- und langfristig sicherzustellen. Als nachhaltig werden Wohnimmobilienkredite mit ausreichend Eigenmitteln (relativ zur Kredithöhe), einer auch unter unerwarteten Ereignissen (z. B. Krankheit, Arbeitslosigkeit) tragbaren Belastung des Haushalts aus dem monatlichen Schuldendienst (relativ zum Einkommen) und einer angemessenen Laufzeit bezeichnet. Die KIM-V legt einheitliche Mindeststandards für alle Banken in Österreich fest. Großzügige Ausnahmekontingente (rund ein Drittel der Neukreditvergabe im zweiten Halbjahr 2023) erlauben den Banken aber viel Flexibilität in der Vergabepolitik. Im März 2024 empfahl das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) eine weitere punktuelle Ausweitung der Ausnahmekontingente. Die Maßnahmen zielen auf die Verbesserung der Qualität der Kredite ab.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aktivierung von kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen sind streng; sie dürfen nur eingeführt werden, wenn sie notwendig (zweckmäßig), geeignet, erforderlich und angemessen sind. Um dies sicherzustellen, hat die OeNB ein detailliertes Analyseverfahren entwickelt. Auf dessen Basis wird die Risikolage auf dem Gesamtmarkt beurteilt und die Kalibrierung von kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen durchgeführt. In den gesamten Prozess von der Risikoidentifikation bis zum Maßnahmenbeschluss sind neben der OeNB die Finanzmarktaufsicht (FMA) und das Bundesministerium für Finanzen (BMF) sowie weitere unabhängige Expert:innen im Rahmen des FMSG eingebunden. Stellt das FMSG Veränderungen der Systemrisiken mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität fest, empfiehlt es der FMA kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen zu setzen.
Die nächste Evaluierung der KIM-V findet Ende des Jahres 2024 statt. Aktuelle Informationen zur KIM-V in Österreich sind auf den Internetseiten des FMSG sowie der FMA zu finden.
Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.