Viele Schulden für nichts? Wie der Staat das Wachstum treibt

19.06.2024

Mathias Moser, Lukas Reiss

Klimabonus, Energiekostenzuschuss, Einmalzahlungen, Schieneninvestitionen – mit Hilfe zahlreicher außergewöhnlicher Maßnahmen hat sich der Staat Haushalten und Unternehmen gegenüber in den letzten Jahren sehr spendabel gezeigt ... aber – frei nach Monty Python – was hat der Staat je für das Wachstum getan? Und was bringen die nächsten Jahre an Wachstumsimpulsen? Antworten hierauf gibt unser neues „Fiscal Impact Measure“ in diesem Blog.

Wenn wir über Staatsfinanzen sprechen, dann steht zumeist das Defizit, also vereinfacht gesagt das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben, im Vordergrund. Das war in den vergangenen Jahren ein sehr relevanter Maßstab, denn die hohen Kosten, die zur Krisenbewältigung aufgewendet wurden, haben die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen ordentlich durchgerüttelt. Dabei haben außergewöhnliche Eingriffe eine gewichtige Rolle gespielt, also Maßnahmen, die im Gegensatz zu automatischen Stabilisatoren einen diskretionären (also aktiven) Eingriff in die Einnahmen oder Ausgaben das Staates darstellen.

Während die unmittelbaren Budgeteffekte dieser außergewöhnlichen Maßnahmen häufig diskutiert wurden, stand seltener die Frage im Raum, was der Staat durch diese außergewöhnlichen Maßnahmen auslöst, denn solchen Maßnahmen folgen immer auch makroökonomische Effekte: Sie befeuern oder dämpfen das Wachstum und beeinflussen damit Konsum, Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen.

Während sich die Defiziteffekte recht leicht aus Einnahmen und Ausgaben ableiten lassen, benötigen wir für die Wachstumseffekte ein paar weitere Zutaten: erstens, eine Vorstellung davon, wann der Staat überhaupt außergewöhnliche Impulse an die Wirtschaft gibt. Wenn die öffentliche Hand etwa die Pensionen unterhalb der rollierenden Inflation anpasst – so geschehen bei den 2013 und 2014 in Kraft getretenen Sparmaßnahmen –, dann mindert sie die Kaufkraft und setzt damit einen negativen Wachstumsimpuls. Steigen die Investitionen des Staates stärker als das langfristige Durchschnittswachstum („Trend-BIP“), wie aktuell etwa im Schienenverkehr, resultiert daraus ein zusätzlicher Wachstumsschub, da Unternehmen mehr Aufträge erhalten. Kurz gesagt: Wir gehen immer dann von einem wirtschaftlichen Impuls aus, wenn der Staat aktiv sein Verhalten in Bezug auf Steuern oder Ausgaben ändert.

Zweitens wird mittels einer sogenannten „Elastizität“ dieser budgetäre Impuls in die Wirkung auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) übersetzt. Hier gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Instrumenten der Budget- bzw. Fiskalpolitik. Einige diskretionäre Fiskalmaßnahmen, beispielsweise die Anschaffung der strategischen Gasreserve im Jahr 2022, haben praktisch gar keine direkte Wirkung auf das BIP. Andere hingegen, wie direkte Erhöhungen der Endnachfrage, lösen über zusätzlichen öffentlichen Konsum oder öffentliche Investitionen einen sehr starken Wachstumsimpuls aus. Zudem haben Stützungen der Haushaltseinkommen tendenziell einen größeren Effekt auf das BIP als ähnlich gelagerte Maßnahmen für Unternehmen, da erstere direkt in den Konsum fließen.

In der untenstehenden Grafik sehen wir uns an, wie „neutral“ der Staat im langjährigen Vergleich war, und hier zeigt sich zunächst ein ganz zentrales Muster: Wenn es wirtschaftlich schlecht lief – also die strichlierte Linie für das Gesamtwachstum negativ war – hielt der Staat mit positiven Impulsen (Balken) dagegen. Wir sagen, er agiert in diesen Phasen „antizyklisch“, versucht also den Abschwung durch expansive Maßnahmen abzuschwächen (also das Wachstum zu fördern). Dies galt insbesondere während der tiefen Rezessionen der Jahre 2009 und 2020. Umgekehrt verhielt sich der Staat in Phasen höheren Wirtschaftswachstums oft „restriktiv“ (er bremste das Wachstum) oder er blieb hier zumindest neutral. Allerdings bestätigen auch hier wie so oft Ausnahmen die Regel. Unter anderem war die Fiskalpolitik auch in einigen Jahren mit mittlerem bis höherem Wirtschaftswachstum expansiv, zum Beispiel 2008 und 2016. Hier agierte der Staat also „prozyklisch“.

Dass die Nachfrage des Staates – also Ausgaben für öffentlichen Konsum und Investitionen – besonders starke Multiplikatoren hat, zeigt sich an den gelben Balken: Diese sind über den gesamten Beobachtungszeitraum die größten Beiträge zum BIP-Wachstum. In den Konsolidierungspaketen der frühen 2010er-Jahre waren aber auch Maßnahmen zur Reduktion der Haushaltseinkommen (blaue Balken) von großer Bedeutung – diese entwickeln ebenfalls starke Wachstumseffekte.

In den Krisenjahren 2020 und 2021 gab es zudem ungewöhnlich starke fiskalische Impulse, die 2022 und 2023 noch nicht rückgängig gemacht wurden. Einerseits stiegen die öffentlichen Investitionen seit Beginn der COVID-19-Krise deutlich stärker als das BIP, das betrifft insbesondere den Verkehrsbereich. Ähnliches gilt auch für den öffentlichen Konsum: Zwar war der sprunghafte Anstieg 2021/22 durch COVID-Tests nur temporärer Natur, aber in vielen Bereichen stieg der Staatskonsum über die letzten Jahre etwas stärker als das Trend-BIP. Andererseits wurden in den Jahren 2020 bis 2022 die Haushaltseinkommen durch Subventionierung von Kurzarbeit und diverse Einmalzahlungen stark unterstützt. Diese Faktoren sind zwar inzwischen weggefallen, allerdings wurde die Abgabenlast auf Arbeit deutlich gesenkt. Zudem erfolgten mehrere Pensionsanpassungen über der Referenzinflation.

Und in Zukunft? Für unsere Prognosejahre sehen wir, dass der Staat zunächst 2024 restriktiv sein wird, während das Wachstum mit +0,3 % noch recht verhalten ist. Das hängt mit dem Auslaufen von Krisenmaßnahmen zusammen. Nach derzeitigem Stand bleibt die Fiskalpolitik in den Folgejahren bei besseren Wachstumsaussichten aber nahezu neutral. „Wahlzuckerl“, die über das aktuelle Jahr hinaus wirken, würden dementsprechend zu einer unerwünschten prozyklischen Fiskalpolitik beitragen. Die nächste Regierung wird aber so und so gefordert sein, denn: Die wieder in Kraft getretenen europäischen Fiskalregeln könnten in diesen Jahren eine höhere Konsolidierung erforderlich machen – die neben ökologischen und sozialen Gesichtspunkten auch die Wachstumseffekte über die Elastizitäten berücksichtigen sollte. Wie gut das gelingt, wird jedenfalls auch in Zukunft unser Fiscal Impact Measure im Prognose-Dashboard verfolgen.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.

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