Gute Kapitalbasis und staatliche Maßnahmen unterstützen Banken bei Krisenbewältigung
Martin Guth, Claus Puhr und Martin SchneiderDie COVID-19-Pandemie hat fast alle Länder der Welt in einer noch nie dagewesenen Weise getroffen. Um die weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern, wurden im Frühjahr 2020 von vielen Regierungen strenge Eindämmungsmaßnahmen ergriffen. Diese Maßnahmen erfüllten ihren gesundheitspolitischen Zweck. Gleichzeitig verursachten das Virus und die Eindämmungsmaßnahmen aber auch den größten wirtschaftlichen Schock seit der großen Depression in den 1930er Jahren. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass die Weltwirtschaft im Jahr 2020 um –4,9 % schrumpfen wird, verglichen mit einem Einbruch von –1,7 % während der großen Finanzkrise im Jahr 2009. Dabei sind die großen Industriestaaten von den Lockdown-Maßnahmen überdurchschnittlich hart getroffen – die Vereinigten Staaten erleiden 2020 voraussichtlich einen Einbruch von –8,0 %, die Eurozone schrumpft 2020 laut IWF Prognose um –10,2 %.
Im Unterschied zur letzten Finanzkrise sind die Banken aber nicht Ursache des Problems, sondern können zu deren Lösung beitragen. Rund die Hälfte des Finanzierungsbedarfs österreichischer Unternehmen wird durch Bankkredite aufgebracht. Diese wichtige Rolle der Finanzierung kommt auch in den nächsten Monaten zum Tragen. Gleichzeitig gilt es sicherzustellen, dass der Bankensektor dauerhaft in der Lage bleibt, die mit der Vergabe von Krediten naturgemäß verbundenen Risiken zu tragen.
Um das Kreditrisiko der Banken akkurat bewerten zu können, benötigt man zuerst eine Einschätzung darüber, wie es den österreichischen Unternehmen geht. Können sie unter den aktuellen Umständen den Betrieb aufrechterhalten? Benötigen sie zusätzliche Kredite, um die laufenden Kosten decken zu können? Und wenn ja, werden sie in der Lage sein, die Kreditraten zu bedienen?
Um diese und weitere Fragen zu beantworten, hat die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) ein neues Unternehmensinsolvenzmodell entwickelt, das es ermöglicht, die Auswirkungen der Krise, sowie jene der staatlichen Hilfsmaßnahmen, auf Unternehmensebene zu simulieren. Das Modell zeigt, dass die Insolvenzrate, aggregiert über alle wirtschaftlichen Sektoren, für 2020 auf 3,8 % anwachsen könnte – dies ist ein deutlicher Anstieg im Vergleich zu 2019 mit einer (allerdings im langjährigen Vergleich sehr niedrigen) Insolvenzrate von 1,0 %.[1] Wir sehen aber auch, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen Schlimmeres verhindern – ohne jene Maßnahmen könnte die Insolvenzrate für 2020 laut Modell auf 6,1 % steigen.
Bevor wir zu den Ergebnissen unserer Analyse bezüglich der Auswirkungen auf das österreichische Bankensystem kommen, müssen wir zuerst klären, wie die „Gesundheit“ der Banken evaluiert werden kann. Die wichtigste Kennzahl in diesem Zusammenhang ist die Harte Kernkapitalquote (Common Equity Tier 1 Ratio, oder CET1 Ratio), die das Harte Kernkapital (Eigenkapital) ins Verhältnis zu den risikogewichteten Aktiva setzt. Das Eigenkapital hat die Aufgabe, unerwartete Verluste abzudecken, während die risikogewichteten Aktiva, vereinfacht gesagt, ein regulatorisches Maß für das Risiko der Kredite darstellen. Die daraus resultierende Quote ergibt somit ein Maß für die Risikotragfähigkeit einer Bank. Die Bankenaufsicht schreibt den Banken vor, wie hoch diese Harte Kernkapitalquote sein muss, damit genug Kapitalpuffer zur Abdeckung von unerwarteten Verlusten und damit insbesondere auch für Krisenzeiten vorhanden sind. Laut der europäischen Kapitaladäquanzverordnung müssen Banken zu jedem Zeitpunkt eine CET1-Quote von mindestens 4,5 % erfüllen, um unerwartete Verluste abzudecken. Zusätzlich zu dieser gesetzlichen („Säule-1“) Mindestanforderung müssen sie jedoch auch eine bankspezifische („Säule-2“) Anforderung und zusätzliche Kapitalpuffer einhalten. Eine Unterschreitung dieser Vorgaben führt sukzessive zu Einschränkungen von Dividendenausschüttungen, aufsichtlichen Maßnahmen und in letzter Konsequenz zur Schließung der Bank und zum Entzug der Banklizenz.
Um die Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die Banken abzuschätzen, werden die oben genannten Insolvenzraten, zusammen mit Informationen über Hilfsmaßnahmen in Österreich und anderen Ländern, als Input für das Stresstestmodell der OeNB („ARNIE“) verwendet. Im Gegensatz zu einem typischen Stresstest wird hier allerdings nur ein Szenario betrachtet, das die aktuellen wirtschaftlichen Prognosen samt staatlicher Hilfsmaßnahmen abdeckt. Zusätzlich wird der Beitrag der Hilfsmaßnahmen untersucht.
In dieser Szenarioanalyse führen steigende Insolvenzraten im realwirtschaftlichen Sektor zu steigenden Kreditrisikokosten bei den Banken, was sich wiederum negativ auf deren Gewinnsituation auswirkt und zu Verlusten führen kann. Diese Verluste werden der vorhandenen Kapitalausstattung gegenübergestellt. Für das österreichische Bankensystem zeigt das Modell, dass die Harte Kernkapitalquote im Beobachtungszeitraum bis 2022 von 15,5 % auf 13,5 % schrumpft – ein Rückgang von 2 Prozentpunkten. Und wie wirken sich die staatlichen Hilfsmaßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft auf die Banken aus? Die deutliche Reduktion der Insolvenzraten in der Realwirtschaft hat auch positive Effekte auf die Banken. Ohne diese Maßnahmen würde die aggregierte CET1-Quote im Modell um 4,4 Prozentpunkte auf 11,1 % fallen.
Die Ergebnisse dieser Szenarioanalyse zeigen somit, dass die COVID-19-Krise nicht spurlos an den Banken vorüberziehen wird. Insgesamt ergibt sich ein relativ harter Schock für das österreichische Bankensystem, der jedoch verkraftbar erscheint. Dies wird auch von den Ergebnissen des letztjährigen Financial Sector Assessment Programs (FSAP) bestätigt, in dem der Internationale Währungsfonds (IWF) dem österreichischen Bankensektor eine hohe Resilienz gegenüber schweren makro-finanziellen Schocks bescheinigt hat. Durch die mikro- wie makroprudenzielle Maßnahmen der letzten Jahre haben die Banken ihre Kapitalausstattung deutlich verbessert, was nun hilft, etwaige Verluste abzufedern und die Banken operativ zu halten.
Die Ergebnisse der Analyse zeigen auch, dass die Maßnahmen der Regierung zur Unterstützung der Realwirtschaft eine wichtige Rolle bei der Milderung der Auswirkungen von COVID-19 auf die Bilanzen der Banken spielen.
Abschließend muss noch erwähnt werden, dass die aktuelle Situation aufgrund ihrer Einzigartigkeit mit sehr hoher Unsicherheit behaftet ist, wodurch jede Analyse eine Momentaufnahme unter den jeweils aktuellen Bedingungen darstellt. Eine etwaige Verschlechterung der Situation, z. B. durch eine „zweite Welle“, ist in dieser Analyse nicht abgedeckt. Ein Update der Berechnungen unter Berücksichtigung der zwischenzeitigen Entwicklungen wird aller Voraussicht nach für den Financial Stability Report 40 vorliegen, der gegen Jahresende veröffentlicht wird.
[1] Diese Ergebnisse berücksichtigen die fiskalischen und aufsichtsrechtlichen Maßnahmen bis Ende Mai 2020, ein Update des Modells ist derzeit in Erarbeitung.