Zölle, US-Dollar, Industrie: Haben die USA am Ende doch einen großen Plan?
03.04.2025Wolfgang Pointner, Paul Ramskogler
Steckt hinter der Zollpolitik der USA mehr als Populismus? Erst im Jänner kündigte US-Präsident Donald Trump Strafzölle auf Einfuhren aus Kanada und Mexiko an, wenige Tage später setzte er sie wieder aus. Mit Anfang April erfolgte die nächste Eskalation. Neben den bereits angekündigten 25 % Zoll auf Autos wurden nun alle Importe aus der EU mit einem Zoll von 20 % belegt.
Diese Ankündigungen haben weitreichende Folgen: Die weltweite wirtschaftliche Unsicherheit ist laut dem Economic Policy Uncertainty Index höher als während der COVID-19-Pandemie oder der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008. Was steckt hinter dieser Politik? Nur Trumps Impulsivität – oder doch ein größerer Plan?

Es gibt Hinweise, dass diese Wirtschaftspolitik einer Strategie folgt. Stephen Miran, einer der wichtigsten wirtschaftspolitischen Berater Trumps, hat seine Pläne für eine neue globale Wirtschaftsordnung bereits im November 2024 dargelegt. In seinem Essay „A User’s Guide to Restructuring the Global Trading System“ entwirft Miran ein Konzept, das unter anderem den Einsatz von Zöllen gegen die strukturelle Überbewertung des US-Dollars mit dem langfristigen Ziel einer Reindustrialisierung der USA empfiehlt. Mirans Ausführungen wurden bereits in Medien diskutiert, etwa in der Financial Times oder der Frankfurter Rundschau, während die Ökonomen Brad DeLong und Paul Krugman seine Pläne für fehlgeleitet halten.
Der US-Dollar als doppeltes Dilemma
Im Zentrum der Analyse steht das so genannte Triffin-Dilemma. Durch die Rolle des US-Dollars als globaler Reservewährung profitieren die USA – indem sie es leichter haben, Länder zu sanktionieren oder ihre Staatsschulden günstiger finanzieren können. Die permanente Nachfrage nach US-Dollar zur Reservehaltung führt aber auch zu einer Überbewertung der Währung und damit zu anhaltenden Leistungsbilanzdefiziten der USA, da sie amerikanische Exporte verteuert und Importe verbilligt. In diesem Kontext ist auch die Idee einer strategischen Bitcoin-Reserve der US-Regierung zu sehen: Würden mehr Staaten Bitcoin statt US-Dollar als Reserve halten, könnte der US-Dollar-Wechselkurs nachgeben.
Für Miran ist diese nachhaltige Überbewertung die wesentliche Ursache für die Deindustrialisierung der USA, die insbesondere mit Blick auf China und sicherheitsrelevanter Lieferketten zu strategischer Verwundbarkeit führt. Doch auch der Verlust gut bezahlter Industriejobs im sogenannten Rust Belt der USA führte dazu, dass viele ehemalige Hochburgen der Demokraten in den letzten Jahren immer öfter republikanisch wählten.
Zölle für die industriepolitische Wende
Vor diesem Hintergrund schlägt Miran eine offensive Zollpolitik vor. Seine Thesen lauten:
- Wenn die betroffenen Exportnationen abwerten, führen Zölle kaum zu höherer Inflation. Als Präsident Trump 2018 Zölle auf chinesische Importe um 18 % erhöhte, wertete der Renminbi um 14 % gegen den Dollar ab und die betreffenden Importpreise stiegen daher nur um 4 %. Bei nur etwa 10 % der Konsumausgaben, die auf Importe entfallen, wäre der Inflationseffekt gering.
- Zölle sollen langfristig die Rückverlagerung der industriellen Wertschöpfung in die USA fördern, insbesondere in Sektoren wie Mikroelektronik oder Pharmazie, um Versorgungsengpässe wie während der COVID-19-Pandemie zu vermeiden.
- Der wirtschaftspolitische Hebel der Zollpolitik wird geopolitisch genutzt: Länder, die sicherheitspolitisch von der Militärmacht der USA profitieren, sollen künftig über Zölle die amerikanischen Verteidigungsausgaben mitfinanzieren.
Dabei verweist Miran ausdrücklich auf die erste Trump-Administration (2017–2021): Trotz höherer Zölle sank der Renminbi und die Inflation blieb niedrig. Allerdings teilen nicht viele Ökonom:innen diese Einschätzung. Empirische Studien zeigen, dass die US-Konsument:innen über höhere Preise die Last der Zölle trugen; siehe Amiti et al. (2019) oder Fajgelbaum und Khandelwal (2021).
Zentral wäre in Mirans Plan, dass keine Nation Gegenmaßnahmen wie höhere Zölle gegen US-Importe einführt, was aber bisher nicht der Realität entspricht. Darüber hinaus wären für eine erfolgreiche Reindustrialisierung der USA langfristige Investitionen des Unternehmenssektors über viele Jahre nötig – die durch eine unberechenbare Wirtschaftspolitik nicht gefördert werden.
Ein „Mar-a-Lago Accord“ zur Dollarschwächung oder kommt nun „unkonventionelle Fiskalpolitik“?
Besonders ambitioniert ist Mirans Vorschlag einer koordinierten Währungsanpassung, angelehnt an das Plaza-Abkommen von 1985. Das Ziel dieser Anpassung wäre eine kontrollierte Abwertung des US-Dollar durch international koordinierte Wirtschafts- und Wechselkurspolitik. Allerdings waren die am Plaza-Abkommen beteiligten Länder, die damals den Großteil der Dollar-Währungsreserven hielten, enge politische Verbündete der USA. Die Staaten, die heute den Großteil der Dollar-Währungsreserven halten, unterhalten weniger enge politische Beziehungen zu den USA: Miran schätzt, dass China zehnmal so viele Dollar-Reserven hält wie der Euroraum. Es erscheint zumindest fraglich, ob die erforderliche Kooperationsbereitschaft, die 1985 aufgrund der geopolitischen Situation gegeben war, heute durch Drohungen ersetzt werden kann. Miran geht dennoch davon aus und nennt dieses hypothetische Abkommen den „Mar-a-Lago Accord“ nach Trumps Ferienhaus in Florida.
Ohne Kooperation könnten die USA ihre Währung auch abwerten, indem sie ausländische Währungsreserven kaufen oder auf der Grundlage präsidialer Notverordnungen Gebühren für US-Staatsanleihen von ausländischen Käufer:innen einheben und diese so weniger attraktiv machen. Miran ist sich bewusst, dass eine geringere Nachfrage nach US-Staatsanleihen auch zu steigenden Zinsen führen wird, hofft aber, diesen Effekt durch eine engere Kooperation zwischen US-Finanzministerium und US-Notenbank abschwächen zu können.
Escalate to de-escalate?
Miran liefert ein provokantes Gegenmodell zur bestehenden globalen Handels- und Finanzordnung. Dennoch bleiben wesentliche Fragen offen. Wenn das Ziel der Zollpolitik eine Schwächung des US-Dollar ist, wäre eine Abwertung anderer Währungen kontraproduktiv. Ohne diese Abwertungen führen Zölle aber zu Inflation. Die bestehenden Lieferketten der US-Industrie sind oft grenzüberschreitend. Viele Zulieferbetriebe der amerikanischen Autoindustrie sitzen in Kanada und Mexiko. Zölle auf deren Produkte verteuern daher auch die US-Produktion.
Das Risiko, dass andere Länder mit Gegenmaßnahmen auf die amerikanischen Zölle reagieren, hält Miran für gering. Er geht davon aus, dass Drohungen der USA ihre Sicherheitsgarantien zurückzuziehen ausreichen, um solche Gegenmaßnahmen zu verhindern. Durch diese Haltung der Trump-Administration droht aber genau jene Weltordnung destabilisiert zu werden, die die USA bisher dominiert haben.
Die unvorhersehbar wirkende Mischung aus Ankündigungen von Zöllen und deren Verschiebung oder Aufhebung entspricht einem Politikverständnis, das die internationale Sicherheits- oder Finanzarchitektur allein danach beurteilt, ob sie profitabel ist. Die meisten Drohungen der Trump-Regierung dienen in diesem Sinn nur dem Aufbauen variabler Verhandlungspositionen, ein Vorgehen, das von US-Finanzminister Scott Bessent als „escalate to de-escalate“ bezeichnet wird. Dass eine solche Vorgangsweise die internationale Kooperation unterläuft, die ein „Mar-a-Lago Accord“ erfordert, geht nicht in diese Betrachtung ein.
Miran selbst erkennt viele Risiken, betrachtet sie aber als kalkulierbar. Ob seine Vorschläge umgesetzt werden, bleibt offen – doch sie geben einen Einblick in das wirtschaftspolitische Denken der zweiten Präsidentschaft von Donald Trump. Die Debatte um Zölle, Reservewährung und Währungskoordination wird nicht verschwinden – im Gegenteil, sie könnte die nächsten Jahre prägen.
Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.