Warum es höhere Kapitalanforderungen braucht: Hintergründe aus der Systemrisikoanalyse für Gewerbeimmobilienkredite

13.11.2024

Marcel Barmeier

Im Blog-Eintrag der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) vom 20. September 2024 zeigt mein Kollege Stefan W. Schmitz, wie groß die Bedeutung von Gewerbeimmobilienkrediten in Österreich ist. Hier stelle ich dar, warum im Falle einer Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds von Gewerbeimmobilienkrediten  ein erhöhtes Risiko für die Finanzmarktstabilität in Österreich ausgeht. Zudem werden die verwendeten Methodiken sowie die Ergebnisse unserer Systemrisikoanalyse erläutert. Diese Systemrisikoanalyse diente als Grundlage für die Entscheidung des Finanzmarktstabilitätsgremiums (FMSG), die Einführung eines sektoralen Systemrisikopuffers für Gewerbeimmobilienkredite von zunächst 1 % zu empfehlen.

Warum brauchen wir eine Systemrisikoanalyse? 
Machen wir zunächst einen Schritt zurück und fragen uns, was ein Systemrisiko ist: Systemrisiken sind Risiken, die, wenn sie eintreten, das gesamte Finanzsystem oder signifikante Teile hiervon stören und somit erhebliche negative Auswirkungen für die Realwirtschaft haben können. Hierbei unterscheiden sich Systemrisiken von bankspezifischen Risiken unter anderem dadurch, dass bei Eintritt eine Vielzahl von Banken gleichzeitig betroffen wären und es Wechselwirkungen zwischen Marktteilnehmer:innen gibt: So können Immobilienverkäufe von einigen Marktteilnehmer:innen auch Auswirkungen auf die Immobilienwerte anderer Marktteilnehmer haben. In der Systemrisikoanalyse für Gewerbeimmobilienkredite ermitteln wir daher, ob die Gewerbeimmobilienfinanzierungen österreichischer Banken in einem ungünstigen makroökonomischen Umfeld zu Störungen des Finanzsystems führen können.

Wie wird die Systemrisikoanalyse für Gewerbeimmobilienfinanzierungen durchgeführt?
Zusammen mit meinen Kollegen Sebastian Rötzer (Finanzmarktaufsichtsbehörde FMA) und David Liebeg (OeNB) habe ich ein Modell für die Systemrisikoanalyse entwickelt, das in der Studie „Systemic risks from commercial real estate lending of Austrian banks“ im Financial Stability Report 48 detailliert beschrieben wird.

Verteilung der Eigenkapitalquoten von Immobilienunternehmen

Grundlage hierfür sind Informationen zu makroökonomischen Entwicklungen, Daten zu Bilanzen, Gewinn-und-Verlust-Rechnungen und den Kapitalflussrechnungen der Immobilienunternehmen sowie zu Kreditbeziehungen von österreichischen Banken. Bei Immobilienunternehmen unterscheiden wir zwischen Gemeinnützigen Bauvereinigungen (GBVs) und profitorientierten Immobilienunternehmen. Unsere Analyse der Unternehmensdaten zeigt dabei, dass GBVs in der Regel mit weniger Risiko behaftet sind. Dies ist unter anderem an den Eigenkapitalquoten ersichtlich. Während Immobilienunternehmen im Vergleich zu Unternehmen aus anderen Sektoren eine durchschnittlich geringere Eigenkapitalquote aufweisen, unterscheiden sich profitorientierte Immobilienunternehmen von GBVs innerhalb des Sektors vor allem durch häufigere negative oder vergleichsweise geringe positive Eigenkapitalquoten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Betrachtung der verfügbaren Liquidität der Unternehmen (z. B. Bankguthaben). Durch die geringere Ausstattung mit Eigenkapital und Liquidität sind profitorientierte Immobilienunternehmen relativ anfälliger gegenüber Ereignissen wie Zinssteigerungen oder Umsatzeinbrüchen.

Unsere Systemrisikoanalyse folgt dem Prinzip eines „Was-wäre-wenn“-Ansatzes. Hierbei werden die Auswirkungen in einem „adversen“ makroökonomischen Szenario auf das Bankensystem ermittelt. Dieses Szenario stellt keine Prognose zukünftiger Entwicklungen dar, sondern ist eine schwerwiegende, aber plausible Verschlechterung des wirtschaftlichen Umfelds. Bei unserer Systemrisikoanalyse werden die Auswirkungen eines Einbruchs der Immobilienpreise von etwa 30 %, eines Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts um 5% sowie unveränderter Zinssätze seit Jahresende 2023 auf Immobilienunternehmen und Banken simuliert.

In dieser Simulation schätzen wir die Auswirkungen des adversen Szenarios auf Unternehmenskennzahlen. Insbesondere ermitteln wir, unter welchen ökonomischen Bedingungen Immobilienunternehmen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung in finanzielle Notlage geraten würden. In weiterer Folge werden die Auswirkungen auf die Bankbilanzen untersucht. Hierbei schätzen wir die Verluste für Banken aus Gewerbeimmobilienkredite und untersuchen die Auswirkungen auf das verfügbare Kapital.

Analyse zeigt erhöhte Systemrisiken aus Gewerbeimmobilienfinanzierungen

Geschätzte Bankenverluste in Systemrisikoanalyse

Die Ergebnisse zeigen, dass von Gewerbeimmobilienkrediten ein erhöhtes Risiko für die Finanzmarktstabilität in Österreich ausgeht. Dies ist insbesondere durch die Anstiege der ausgefallenen Kredite sowie der Verluste für das österreichische Bankensystem erkennbar. Im „adversen“ Szenario erhöht sich der Anteil der ausgefallenen Gewerbeimmobilienkredite (Nonperforming-Loans-Quote – „NPL“) auf ein Niveau, das in historischen Gewerbeimmobilienkrisen zu beobachten war. Hierdurch steigen auch die erwarteten Verluste der Banken. Die Verluste belaufen sich in diesem schwerwiegenden Szenario auf 13 % des Bankkapitals. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Gewinnen der Banken in den letzten Jahren zeigt sich, dass die geschätzten Verluste die Bankengewinne deutlich übersteigen. Die Unterscheidung im Risiko zwischen gemeinnützigen Bauvereinigungen und profitorientierten Immobilienunternehmen zeigt sich auch in den Modellergebnissen. Die überwiegende Mehrheit von 98 % der Verluste in der Systemrisikoanalyse ist auf profitorientierte Immobilienunternehmen zurückzuführen.

Finanzmarktstabilitätsgremium empfiehlt Einführung eines sektoralen Systemrisikopuffers
Auf Basis der Ergebnisse der Systemrisikoanalyse für Gewerbeimmobilienfinanzierungen empfiehlt das FMSG der FMA, einen sektoralen Systemrisikopuffer in Höhe von zunächst 1 % per 1. Juli 2025 festzulegen. Das bedeutet, dass österreichische Banken zusätzliches Kapital für Verluste aus Gewerbeimmobilienkredite halten müssen. Wie viel Kapital gehalten werden muss ist abhängig von der Höhe der Gewerbeimmobilienkredite: Je mehr Kredite vergeben wurden, desto mehr Kapital müssen die Banken vorhalten. Banken, die keine Kredite an Immobilienunternehmen vergeben haben, müssten demnach auch keine zusätzlichen Kapitalanforderungen erfüllen. Da von gemeinnützigen Bauvereinigungen ein niedrigeres Risiko ausgeht, wird empfohlen diese von der Regelung auszunehmen, wodurch für diese Kredite kein zusätzliches Kapital zur Verfügung gestellt werden müsste. Berechnungen der OeNB zeigen, dass der Puffer die wirtschaftlichen Aktivitäten in diesem Segment nicht einschränken wird: Die meisten Banken verfügen über ausreichend freies Kapital, auch über die regulatorischen und aufsichtlichen Erfordernisse hinaus. Sollte die Kreditnachfrage bei einzelnen Banken mit einer knappen Eigenkapitalausstattung tatsächlich nicht bedient werden können, so können Banken mit einer besseren Eigenkapitalausstattung die Nachfrage bedienen – vorausgesetzt die Kreditwürdigkeit der Immobilienunternehmen stimmt.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.