Welche Technologien der Energiewende sind ökonomisch sinnvoll?

13.09.2024

Andreas Breitenfellner

Wir müssen uns von den fossilen Energieträgern verabschieden – das ist Konsens in der Klimaforschung. Aber wie das genau und am wirtschaftlichsten geschehen soll, ist in einzelnen wissenschaftlichen Fachbereichen noch strittig. Bei einer interdisziplinären Dialogreihe der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) haben Fachleute darüber offen, aber konsensorientiert diskutiert.

Die Auswirkungen und Ursachen des Klimawandels sind in der naturwissenschaftlichen Community weitgehend unbestritten. Praktisch alle Strategien gegen die Erderwärmung peilen eine Defossilisierung der Wirtschaft und eine umfassende Energiewende an. Jedoch bröckelt der Konsens bei konkreten technologischen Ansätzen: Konventionelle erneuerbare Energieträger oder bahnbrechende Innovationen? Erdgas als Brückentechnologie oder umfassende Elektrifizierung? „Verbrennerverbote“ oder E-Fuels und Wasserstoff? Atomausstieg oder neue Kernenergieverfahren? Ehrgeizige EU-Klimaziele ohne Emissionen auf andere Kontinente verlagern? Energieautarkie oder internationale Arbeitsteilung? Diese und ähnlichen Fragen wurden in einer interdisziplinären Dialogreihe der OeNB seit Anfang 2023 erörtert. Führende Fachleute aus renommierten Forschungseinrichtungen und international Institutionen nahmen daran teil. Da der Teufel oft im Detail steckt, wollten wir einen Beitrag zum Faktencheck leisten (siehe Occasional Paper No. 6).

Warum beschäftigt sich die OeNB mit solchen Fragen? Wie OeNB-Gouverneur Robert Holzmann erklärte, kann eine ungeordnete Energie- und Klimawende die Inflation treiben und die Finanzmärkte schocken. Preis- und Finanzmarktstabilität zu wahren, ist das gesetzliche Kernmandat der OeNB. In diesem Sinne plant die OeNB, die Diskussionsreihe mit Schwerpunkt Kosten- und Nutzenabschätzung fortzusetzen.

CO2-Preis und Regulierung kombinieren
Die Diskussionen haben gezeigt, dass ein Konsens über die optimalen Technologiepfade zur Emissionsreduktion zwar nicht einfach, aber möglich ist. Dazu ist ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich, der unterschiedliche Sichtweisen integriert und auf solider wissenschaftlicher Evidenz aufbaut. Die Beteiligten müssen sich auf gemeinsame Begriffe einigen, mit Kritik und Unsicherheiten adäquat umgehen und auf Veränderungen flexibel reagieren. Die Maßnahmen sollten kosteneffizient, risikobewusst, technologieoffen sowie langfristig nachhaltig sein. Zielkonflikte zwischen diesen Prinzipien sind pragmatisch zu lösen. Eine CO2-Bepreisung erfüllt die genannten Kriterien gut, insbesondere wenn sie international koordiniert ist. Eingebettet in einen gut durchdachten Policy-Mix, insbesondere kombiniert mit Förderung grüner Innovationen, sollte die Bepreisung deshalb eine zentrale Rolle in der Energiewende spielen (siehe Abbildung). Aber auch Konsensbildung ist essenziell für eine glaubwürdige und wirtschaftsverträgliche Klimapolitik, weil sie die Planungssicherheit der Investoren erhöht.

klimapolitische entscheidungen fuer einzelne emissionssektoren

Sonne und Wind oder bahnbrechende Innovationen?
Die kurze Antwort ist: sowohl als auch. Sie hängt jedoch davon ab, wieviel Energie wir tatsächlich brauchen werden. Ausgangspunkt ist nicht der Primärenergiebedarf, sondern der Endenergiebedarf, d. h. abzüglich der Verluste bei Transport und Umwandlung fossiler Energieträger. Durch Elektrifizierung kann also etwa ein Drittel der Primärenergie eingespart werden, auch wenn der Strombedarf durch neue Anwendungen wie Elektroautos steigt. Somit wird es realistischer, dass traditionelle erneuerbare Energieträger weltweit ausreichen könnten. Da sie laufend billiger werden, wandern die Investitionen von fossilen zu erneuerbaren Energien.

Pragmatisch wird man daher versuchen, das Potenzial von Wind- und Solarenergie möglichst voll auszuschöpfen und gleichzeitig genügend Ressourcen in die Erforschung bahnbrechender Innovationen zu stecken. Neben Kohlenstoffabscheidung spielt Kernenergie eine Rolle. Das Metall Thorium mit geringer und natürlicher Radioaktivität gilt diesbezüglich als Hoffnungsträger. Doch ähnlich wie bei der Kernfusion ist zu berücksichtigen, dass Innovationen unsicher sind und Zeit benötigen. Und Zeit ist beim Klimaschutz eine knappe Ressource. Es ist jedenfalls immer klug, nicht nur auf ein Pferd zu setzen.

Verbrennungsmotoren und Gasheizungen verbieten oder Wasserstoff und E-Fuels fördern?
Rund ein Fünftel der CO2-Emissionen in der EU entsteht durch den Straßenverkehr. Ursprünglich war von einem Verkaufsverbot für neue Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035 die Rede. Jetzt sollen auch neue Pkws mit Verbrennungsmotor zugelassen werden, die beim Fahren CO2-neutral sind. Dazu braucht man synthetische Kraftstoffe, also E-Fuels. Die werden meist auf Basis von grünem Wasserstoff hergestellt, der aus erneuerbarem Strom gewonnen wird. E-Fuels sind aber knapp, weshalb die EU-Politik de facto auf ein weitgehendes Aus von Verbrennungsmotoren bei Neuzulassungen hinausläuft. Einige Ökonom:innen kritisieren solche dirigistischen Markteingriffe und plädieren für technologieneutrale Lösungen wie CO2-Bepreisung.

Andere zweifeln daran, dass ein ausreichend hoher CO2-Preis politisch durchsetzbar sei. Sie verweisen auf wichtige Investitionen in die Infrastruktur, die nach einer technologieoffenen Forschungs- und Entwicklungsphase harte Entscheidungen erfordern. Zudem ist ungewiss, ob am Ende des Tages genügend Wasserstoff für den Personenverkehr übrig bleibt, da Industrie, Flug- und Schiffsverkehr darauf alternativlos angewiesen sind. Dies hängt nicht zuletzt davon ab, wie stark sich die Produktionskosten senken lassen. Ungeachtet ihrer Schwächen gilt die batterieelektrische Antriebstechnologie derzeit als deutlich energieeffizienter als heimisch produzierte E‑Fuels. Trotzdem sind alternative Kraftstoffe ein wichtiger Teil einer Gesamtstrategie, um den Treibhausgasausstoß zu senken.

Heizungsenergie ist ebenso ein großes Thema. Soll der Ausstieg aus Erdgas am Anfang oder am Ende stehen? Bis vor kurzem galt Gas als Brückentechnologie, da es im Vergleich zu anderen fossilen Brennstoffen geringere Emissionen aufweist und flexibel einsetzbar ist. Doch nun wird ein schneller Gasausstieg angestrebt, um keine Kriegsfinanzierung zu unterstützen. Dies weckt jedoch Bedenken bezüglich des Industriestandorts. Zwar könnte synthetisches Gas eine Übergangslösung bieten, da die bestehende Gas-Infrastruktur verwendet werden könnte, jedoch bleiben die hohen Umwandlungsverluste problematisch. Die höhere Effizienz von Wärmepumpen spricht für eine direkte Elektrifizierung.

Internationale Zusammenarbeit statt Energieautarkie
Die Diskussionen zeigten auch, dass nationale Alleingänge in der Klimapolitik ineffizient sind und der Wettbewerbsfähigkeit schaden. Internationale Koordinierung ist notwendig, um zu vermeiden, dass Unternehmen ihre Produktion in Länder mit geringeren Klimaschutzanforderungen verlagern (Carbon Leakage). Die EU hat mit ihrem Green Deal ein ehrgeiziges Klimaschutzprogramm aufgesetzt. Gleichzeitig motiviert sie andere Wirtschaftsräume durch einen CO2-Grenzausgleichsmechanismus zu mehr Klimapolitik. Noch besser wäre ein internationaler Klimaklub mit weltweit abgestimmten CO2-Steuern, um Wettbewerbsnachteile zu verhindern. Die G7 hat bereits einen solchen Klub gegründet, der sich jedoch bislang auf Dialog beschränkt.

In einer globalisierten Weltwirtschaft ist eine vollständige Abschottung weder realistisch noch effizient. Die EU strebt keine Energieautarkie an, sondern will die Energieversorgung sicherer und unabhängiger von fossilen Energieimporten machen. Obwohl die europäische und österreichische Wasserstoffstrategie die heimische Produktion stärkt, bleiben wir ziemlich importabhängig. Es ist auch sinnvoll, E-Fuels an zwei- bis dreimal ergiebigeren Standorten außerhalb Europas zu produzieren. Dabei sind aber die Umwandlungs- und Transportverluste zu berücksichtigen. Auch wenn die Welt theoretisch über genügend Wind- und Sonnenpotenziale verfügt, können wir es uns nicht leisten, diese zu verschwenden. Denn auch in den energieexportierenden Ländern wächst der Bedarf an Ökostrom rasant und die Finanzierung ist knapp. Zudem fürchten dort viele einen neuen grünen Kolonialismus, der sie ihrer wichtigsten Ressourcen beraubt. Doch partnerschaftlich organisiert können europäische Investitionen in erneuerbare Energien die Produktivität im Süden steigern.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.