Stadt, Land, Kluft: Inflation zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

12.02.2024

Karin KlieberMirjam Salish

Das Leben in einer Großstadt ist teuer. In der aktuellen Hochinflationsphase hatten jedoch Haushalte in ländlichen Gegenden bis vor Kurzem das Gefühl, von stärkeren Preissteigerungen betroffen zu sein. Warum das so ist, ob die Preise am Land tatsächlich stärker anstiegen als in der Stadt und warum Konsument:innen die Inflation meist höher einschätzen als die offizielle HVPI-Inflationsrate, erklären wir in diesem Blog-Beitrag.

Dass die Lebenshaltungskosten in österreichischen Städten wie Wien, Salzburg oder Innsbruck hoch sind, ist kein Geheimnis. Grund dafür sind nicht nur die hohen Immobilien- und Mietpreise, auch die Verbraucher:innenpreise, vor allem im Dienstleistungsbereich wie Gastronomie und Hotellerie, spielen hier eine Rolle. Das allgemeine Preisniveau ist somit am Land – mit ein paar Ausnahmen – tendenziell niedriger als in Städten. Wie sieht es jedoch mit den Preissteigerungen aus? Zumindest gefühlt lagen diese in ländlichen Regionen während des jüngsten Inflationsanstiegs über jenen in städtischen Regionen.

Inflationswahrnehmung: bis Herbst 2022 am Land gefühlt höher als in der Stadt
Die am Harmonisierten Verbraucherpreis (HVPI) gemessene Inflationsrate erreichte in Österreich ihren Höhepunkt im vierten Quartal 2022 mit 11,1 %. Hauptgrund für den rapiden Anstieg waren die Energiepreise, die zuerst mit der Wiedereröffnung nach den Lockdowns und dann mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nach oben schnellten. Nahezu synchron mit den offiziellen HVPI-Inflationsraten stiegen auch die Inflationswahrnehmungen der österreichischen Haushalte, die seit April 2022 im Rahmen des EZB Consumer Expectation Survey (CES) monatlich erhoben werden. Bei ihrer Einschätzung der aktuellen Preisentwicklung geben die Haushalte an, um wie viel Prozent sich ihrer Meinung nach das Preisniveau im eigenen Land im Vergleich zum Vorjahresmonat verändert hat. In dieser Einschätzung sind sich Haushalte, die am Land leben, und Haushalte, die in einer Stadt leben, nicht ganz einig. Die Inflationswahrnehmungen der Haushalte in ländlichen Regionen lagen von April bis September 2022 deutlich über jenen von Haushalten in städtischen Regionen. Mit dem Höhepunkt der Inflationsentwicklung drehte sich diese Wahrnehmungsschere. Zwischen Oktober 2022 und März 2023 schätzten städtische Haushalte die Inflation deutlich höher ein als ländliche. Welche Haushalte waren jedoch tatsächlich stärker betroffen und warum?

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Inflationsrealität: ländlicher Raum während Anstieg stärker betroffen
Ein genauer Blick auf die Inflationsbelastung der Haushalte zeigt, dass die Haushalte mit ihrer Einschätzung tendenziell richtig liegen. Tatsächlich lag die Inflationsrate von Haushalten, die in ländlichen Regionen leben, in den Jahren 2021 und 2022 über der Inflationsrate von Haushalten in städtischen Regionen. Davor war die Inflationsbelastung in der Stadt etwas höher. Ebenso jetzt, wo die Inflationsraten wieder langsam zurückgehen. Das bedeutet, dass der markante Inflationsanstieg am Land besonders stark zu spüren war. Woran aber liegt das? Stiegen die Preise für ein und dasselbe Produkt am Land stärker als in der Stadt?

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Tanken, Heizen & Miete: Konsumverhalten erklärt Kluft zwischen Stadt und Land
Die Antwort lautet: Nein, unterschiedliche Preissteigerungen für gleiche Produkte oder Dienstleistungen spielen bei der Inflationsbelastung kaum eine Rolle. Tatsächlich ist jeder Haushalt mit einer anderen Inflationsrate konfrontiert. Diese wird vom Konsumverhalten bestimmt. Da nicht alle Produkte im gleichen Ausmaß von Preissteigerungen betroffen sind, und jeder bzw. jede von uns andere Waren und Dienstleistungen konsumiert, sind wir auch von unterschiedlichen Inflationsraten betroffen. Ländliche Haushalte sind beispielsweise zumeist stärker auf das Auto angewiesen. Da der Anteil an Einfamilienhäusern am Land zudem größer ist, sind auch die Ausgaben für Strom und Heizen oft höher.

Die Preisentwicklung verschiedener Warenkörbe von Statistik Austria zeigt: Der Anstieg des Mikrowarenkorbs, der den täglichen Einkauf abbildet und damit u. a. keine Treibstoffpreise enthält, fiel in den Jahren 2021 und 2022 weit weniger stark aus als jener des Miniwarenkorbs, der einen typischen Wocheneinkauf darstellt und somit auch Spritpreise umfasst. Besonders hoch war der Anstieg des Index für den privaten Pkw-Verkehr. Den Inflationsanstieg, der in den Jahren 2021 und 2022 zuerst stark von den Treibstoffpreisen getrieben war, spüren Autofahrer:innen somit natürlich ungleich stärker. Im Jahr 2023 kehrte sich dieser Trend wieder um.

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Natürlich sind es nicht nur die Treibstoffpreise, die zu Unterschieden in der Inflationsbelastung beitragen. Wohnungen in Mehrfamilienhäusern sind meist energieeffizienter als einzeln stehende Häuser, und somit ist der Anteil der Ausgaben für Haushaltsenergie in Mietwohnungen häufig geringer. Die unterschiedliche Inflationsbelastung zwischen Stadt und Land ist somit nicht konstant über die Zeit. Mit dem Rückgang der Energiepreisinflation drehte sich die Inflationsschere wieder. Wenn – so wie derzeit – die Mietpreisinflation ein wichtiger Preistreiber ist, sind städtische Regionen mit einem höheren Anteil an Haushalten, die zur Miete leben, wieder stärker betroffen.

Wahrgenommene Inflation meist deutlich höher als gemessene
Was wir als Stadt- und Landbewohner:innen allerdings gemein haben, ist, dass unsere wahrgenommene Inflation höher ist als die offizielle HVPI-Inflationsrate. So lagen die Inflationswahrnehmungen der Österreicher:innen laut CES in den vergangenen zwei Jahren jeweils rund 3 bis 5 Prozentpunkte über der HVPI-Inflation. Andere Studien für Österreich belegen, dass dies auch früher schon der Fall war (siehe z. B. Fluch und Stix, 2005; Fluch et al., 2013 oder Fritzer und Rumler, 2015). Dies liegt zum Teil daran, dass uns Preisänderungen bei Waren und Dienstleistungen, die wir sehr häufig kaufen mehr auffallen. Wenn also die Tageszeitung, der Kaffee im Kaffeehaus oder auch der Liter Milch im Supermarkt teurer werden, dann bemerken wir das zumeist rasch und messen dem auch ein hohes Gewicht bei. Außerdem bleiben uns Preissteigerungen oft besser in Erinnerung als gleichbleibende Preise oder Preissenkungen.

Es wäre allerdings zu kurz gegriffen, die Unterschiede zwischen der offiziellen HVPI-Inflationsrate und den Inflationswahrnehmungen allein damit zu erklären. Die Art und Weise, wie die Inflation gemessen wird, spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle. So basiert der HVPI auf dem Warenkorb eines repräsentativen Haushalts. Die Basis dafür liefert die Konsumerhebung. Um den Warenkorb zu bestimmen, werden alle Haushalte, die an der Konsumerhebung teilnehmen, nach ihren Ausgaben gewichtet. Abhängig vom Konsumverhalten kann sich die offizielle HVPI-Inflationsrate somit deutlich von den individuellen Inflationsraten unterscheiden. Unser Blick auf die Preisveränderungen basiert oft auf unseren persönlichen Erfahrungen und weniger auf den statistischen Daten. Somit ergibt sich eine höhere Einschätzung der Inflation, die besonders zum Tragen kommt, wenn wir durch unseren Wohnort oder andere demografische Faktoren stärker betroffen sind.

Die zum Ausdruck gebrachten Ansichten müssen nicht zwingend mit den Ansichten der OeNB bzw. des Eurosystems übereinstimmen.