Die Geldpolitik und Fiskalpolitik sind in Vorlage getreten
Gouverneur Holzmann im Börsen-Kurier, 26.11.2020OeNB-Gouverneur Robert Holzmann sieht als Folge der expansiven Geldpolitik noch keine Überhitzungen des Aktien-, Immobilien- und Goldmarktes und betont die Notwendigkeiten von Strukturreformen.
Julia Kistner – Der Österreichische Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann sieht als Folge der ultralockeren Geldpolitik noch keine Blasenbildungen an den Gold-, Immobilien- und Aktienmärkten. Er ist optimistisch, dass wir spätestens Mitte nächsten Jahres eine deutliche Erholung der Wirtschaft sehen werden. Die Geldpolitik und auch die Fiskalpolitik hätten drohenden Liquiditätsengpässen und einem Wirtschaft- und Finanzkollaps wirksam entgegengehalten. Jetzt müssten die Staaten auch Struktur- als Zukunftsreformen umsetzen, betont der Notenbank-Gouverneur Holzmann im Gespräch mit dem Börsen-Kurier.
Börsen-Kurier: Herr Gouverneur, was waren für die Zentralbanken die großen Herausforderungen 2020?
Holzmann: Natürlich der Umgang mit der Pandemie, die Märkte zu stabilisieren. Die Notenbanken haben diesbezüglich ihre Lektionen aus der Finanzkrise gelernt und sehr wirksam und rasch reagiert, um die Liquiditätsversorgung der Banken und Unternehmen zu stärken. Es wurde geklotzt und nicht gekleckert. Zudem haben die Europäische Zentralbank und die Notenbanken des Eurosystems nicht nur Staats-, sondern auch Unternehmensanleihen angekauft, damit Firmen nicht in Liquiditätsengpässe geraten.
Börsen-Kurier: Haben das EZB-Pandemieprogramm PEPP (Pandemic emergency purchase programme) in Höhe von 1,35 Billionen Euro sowie die zusätzlichen Anleihe-Ankäufe wenigstens gewirkt?
Holzmann: Ja. Das geht aus den Analysen des EZB-Rates hervor. Das PEPP-Programm hat wieder Vertrauen geschaffen und so verhindert, dass die Investoren ihr Geld aus bisherigen Anlagen abziehen. Beim Ausbruch der Pandemie sind die Risikoaufschläge der Staatsanleihen sofort stark gestiegen. Regierungen, vor allem Spanien und Italien, die zusätzliches Geld der Wirtschaft im Lockdown zur Verfügung stellen wollten, mussten deutlich mehr Zinsen für frisches Geld bezahlen. Die Kreditaufschläge auf Staats- und Unternehmensanleihen haben sich dank der expansiven Geldpolitik wieder deutlich reduziert.
Börsen-Kurier: Waren Finanzspritzen dieses Ausmaßes tatsächlich notwendig und geht das so expansiv weiter?
Holzmann: Das Volumen der Ankäufe wurde natürlich diskutiert, vor allem in Kombination mit negativen Einlagezinsen. Wobei die USA sogar noch viel umfangreichere Anleihekäufe tätigte. Die Bank of England hat gerade ihr Programm um 150 Milliarden Pfund auf insgesamt, und in Euro umgerechnet, rund eine Billion Euro aufgestockt .Bei der nächsten EZB-Ratssitzung am 10. Dezember ist der Umfang allfälliger neuer Programme sicherlich zu diskutieren. Man wird ihn von den dann neu verfügbaren, vierteljährlichen Konjunkturprognosen abhängig machen. Das laufende PEPP wird in der Höhe in jedem Fall weiterlaufen. Es geht aber nicht so sehr um Quantität, sondern mehr um Qualität der geldpolitischen Maßnahmen. Man wird nicht nur über weitere Ankaufprogramme nachdenken, sondern sämtliche Möglichkeiten diskutieren müssen. Selbst die Implementierung neuer Instrumente ist nicht gänzlich ausgeschlossen.
Börsen-Kurier: Überlegt die EZB auch Aktienankäufe, wie sie Japan und die Schweiz längst praktizieren?
Holzmann: Nein, die sind nicht angedacht. Auch eine weitere Absenkung der EZB-Einlagezinsen hätte meines Erachtens nicht die gewünschte langfristige Wirkung. Der Effekt von Negativzinsen auf die Realwirtschaft ist nur temporär und schmilzt langfristig ab.
Börsen-Kurier: EZB-Einlagezinsen von minus 0,5 Prozent und andererseits notwendige höhere Eigenkapitalhinterlegungen von Krediten krisengebeutelter Unternehmen muss man erst einmal aushalten. Wie schaut es mit der Krisenfestigkeit der Europäischen Banken aus?
Holzmann: Nach den letzten Informationen sind Europas Banken und auch die österreichischen Institute gut aufgestellt und die Banken werden den „Pandemie-Stresstest“ bestehen. Es droht keine weitere Bankenkrise. Im Vergleich zum Beginn der großen Finanzkrise 2008 ist der Sektor mit deutlich mehr Eigenkapital ausgestattet. In Europa wird aber natürlich auch intensiv nachgedacht, wie man die Finanzmärkte weiter stärken und Unternehmen stärker mit Eigen- als Fremdkapital finanzieren kann.
Börsen-Kurier: Ist der Bankensektor wirklich so stabil? Österreich musste heuer schon die Megapleite Commerzialbank Mattersburg verdauen. Der auch an der Wiener Börse notierten Auto-Bank AG wurde von der Finanzmarktaufsicht eine vorläufige Verwalterin zur Seite gestellt. Funktioniert die FMA?
Holzmann: Die österreichische Finanzmarktaufsicht ist intakt. Bei der Commerzialbank Mattersburg handelt es sich um einen mutmaßlichen Kriminalfall, ein 30-jähriges Pyramidenspiel. Überdenken kann man aber die Einlagensicherung, die Anreize gibt für höhere Zinsen deutlich mehr Risiko einzugehen. Wenn einem Einleger über Jahre hindurch für seine Spareinlage beispielsweise fünf Prozent Rendite in der aktuellen Zinslandschaft versprochen werden, dann wäre es doch legitim, dass ihm im Fall einer Insolvenz seiner unterkapitalisierten Bank nicht die gesamten Zinserträge abgegolten werden. Man könnte alternativ auch bei den Banken direkt ansetzen und je nach Ausfallsrisiko nach dem Versicherungsprinzip die Einzahlungen in ein Sicherungssystem noch stärker unterschiedlich bepreisen. Aber das muss die Politik auf europäischer Ebene entscheiden. Es gibt jedenfalls schon den Wunsch einzelner Banken wieder eigenständige Einlagensicherungssysteme aufzubauen.
Börsen-Kurier: Kreditausfälle werden Banken 2021 wohl noch stärker belasten. Nämlich dann, wenn im Frühjahr 2021 Staatshilfen und Steuerstundungen auslaufen. Rechnen Sie mit einer Insolvenzwelle?
Holzmann: Der Klippeneffekt wird umso geringer ausfallen, je stärker die geldpolitischen und fiskalischen Maßnahmen greifen. Wenn die Staatshilfen auslaufen, wird im Juni 2021 ja auch schon der Europäische Aufbauplan, NextGenerationEU, wirksam. Länder wie etwa Spanien haben auch schon angekündigt, dass sie Maßnahmen vorziehen werden. All das wird die Konjunktur in der EU kräftig antreiben.
Börsen-Kurier: Für einen Konjunkturaufschwung 2021 scheint also alles vorbereitet: Es wird einen Impfstoff geben. Die Wirtschaft kann sich vom aktuell tiefen Niveau nur erholen. Es gibt weiterhin Hilfen vom Staat und der EU. Die Konsumenten könnten ihre hohen Sparquoten zurückfahren und wieder mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf bringen.
Holzmann: Ich bin grundsätzlich ein optimistischer Mensch. Davon ganz abgesehen sprechen auch die Fakten für eine nachhaltige Wirtschaftserholung zumindest ab Mitte nächsten Jahres. Die weitere Dauer und mögliche Erhöhung des Hilfsprogramm PEPP oder mögliche weitere Unterstützungsmaßnahmen werden auch von einer baldigen Zulassung und der Wirkung der Covid-19-Impfstoffe abhängen.
Börsen-Kurier: Während die Anleihen-Ankäufe bzw. die Konkurrenz durch die Notenbanken die Verzinsungen von Bonds unattraktiv machen und private und betriebliche Pensionsvorsorgen gefährden freuen sich Online-Broker und Aktionäre über kräftige Kursanstiege nach den Einbrüchen im März.
Holzmann: Natürlich hat die expansive Geldpolitik zu den jüngsten Aktienanstiege weltweit beigetragen. Sie hält durch ihre starke Nachfrage die Anleihezinsen niedrig und bewirkt damit eine Portfolio-Umschichtung zugunsten von Aktien. Die Börsen hängen aber vor allem vom medizinischen Potenzial ab, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln, den es braucht, um wieder Normalität und Vertrauen bei den Konsumenten, Unternehmern und Investoren herzustellen.
Börsen-Kurier: Sorgen die Notenbanken mit ihrer lockeren Geldpolitik nicht für Blasenbildungen auf den Gold-, den Immobilien- und den Aktienmärkten?
Holzmann: Die Gefahr besteht und man muss wachsam sein. Aber ich sehe sie derzeit noch nicht.
Börsen-Kurier: Verliert man bei der nun schon über ein Jahrzehnt praktizierten lockeren Geldpolitik nicht den Blick für erforderliche strukturelle Reformen?
Holzmann: Wir müssen in jedem Fall den rasanten Anstieg der Staatsschulden diskutieren. Wir können sie nicht ewig weiter ausdehnen, sondern müssen sie wieder reduzieren.
Börsen-Kurier: Wird man die Staatsschulden je wieder auf Maastricht-Niveau, eine Gesamtverschuldung von maximal 60 Prozent der Wirtschaftsleistung, zurückführen können?
Holzmann: Das ist machbar. Das haben Deutschland und Österreich ja vor der Pandemie mit restriktiver Fiskalpolitik und dennoch hoher Wirtschaftsleistung bewiesen. Zwar hat Italien einen noch stärkeren Sparkurs als Österreich gefahren, doch das hilft nicht, wenn die Produktivität einer Volkswirtschaft nicht gesteigert wird. Deshalb setzt das Konjunkturpaket „NextGenerationEU“ ja gezielt auf Maßnahmen wie Digitalisierung, die die Produktivität steigern. Die Geldpolitik hat schon viel Vorschub geleistet, auch die Fiskalpolitik. Was es jetzt braucht sind wirksame Strukturreformen.