Gouverneur Nowotny im Interview mit der Wiener Zeitung – 27.05.2016
"Das zentrale Mandat bleibt Stabilität"
Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank, im Gespräch über die Währungsunion und die Herausforderungen für die Notenbanken.
Robert Menasse hat jüngst beklagt, dass seit den Kauri-Muscheln keine Währung so schlecht eingeführt wurde wie der Euro. Was sagen Sie als Mitglied des EZB-Rates zu dem Vorwurf?
Bei allem Respekt, als volkswirtschaftliche Autorität würde ich ihn nicht bezeichnen, auch wenn ich ihn als Autor schätze. Es hat lange Diskussionen gegeben, der Euro ist notwendig gewesen bei der Schaffung des Binnenmarktes. Und es gibt klare Aufnahmebedingungen, die Maastricht-Kriterien. Gleichzeitig ist die EZB geschaffen worden, die unabhängig agiert, auf Preisstabilität achtet. Das Konstrukt hat sich bewährt, vor allem in der Finanzkrise. Lassen Sie mich historisch zurückblicken: Die US-Notenbank Fed wurde dreimal gegründet, erst danach hat es funktioniert.
200 Jahre Nationalbank, dessen Gouverneur sie sind. In der Monarchie war die Nationalbank für den sogenannten Vielvölkerstaat ja auch so was wie die EZB…
Die k&k privilegierte Nationalbank wurde 1816 nach den napoleonischen Kriegen gegründet. Der Krieg führte zu hoher Inflation, das Verhältnis Politik und Wirtschaft hat sich damals neu organisiert. Die Nationalbank war damals privat, Beethoven war einer der Aktionäre. Aber wir waren schon so was wie das System der Zentralbanken in Europa. In Ungarn gab es auch eine Nationalbank, trotz gemeinsamer Währung. Der Dualismus war politisch umstritten, da er die tschechischen Gebiete der Monarchie nicht berücksichtigte. Dafür wurde die erste große Zweiganstalt in Prag eröffnet. Dafür hat sich allerdings in Tschechien mit der Krone der Name der damaligen Währung erhalten.
1918 zerfiel diese Währungsunion, 1938 dann auch das Land Österreich…
Ja, und nach dem Ersten Weltkrieg gab es zunächst eine extreme Inflation und dann eine wirtschaftspolitisch sehr restriktive Wirtschaftspolitik, damals entstand der Begriff Alpendollar. In der Ersten Republik baute deswegen die Nationalbank einen großen Goldbestand auf, den die Nazis unmittelbar nach der Annexion Österreichs nach Berlin brachten. Manche Historiker glauben, dass dieser Schatz wesentlicher Grund für Hitler war, in Österreich einzumarschieren. Er brauchte das Geld für die Rüstungsindustrie.
Nach 1945 wurde die Nationalbank neu gegründet, der Schilling wieder eingeführt.
Es gab geldpolitisch moderne Konzepte der US-Militärverwaltung, die den Aufschwung in Nachkriegsösterreich unterstützt haben.
Die größte Schilling-Reform der Zweiten Republik war wohl die vom damaligen Finanzminister Hannes Androsch in den 1970er Jahren forcierte Bindung des Schilling an die D-Mark. Die damalige Nationalbank-Spitze war anfänglich dagegen…
Die Nationalbank war der Hauptträger der Hartwährungspolitik, der Internationale Währungsfonds war dagegen, dem ja flexible Wechselkurse immer lieber sind. Aber das Projekt war nicht ohne Risiko. Es erforderte eine enge Kooperation von Regierung, Sozialpartnern und Nationalbank. Im Gegensatz zu heute gab es damals eine sehr expansive Budgetpolitik, die öffentliche Hand hat massiv investiert. Dadurch und durch die abgestimmte Lohnpolitik wurde die Koppelung an die D-Markt politisch möglich.
Dann kam die europäische Integration, und die Währungsunion. Der EZB werden aber Geburtsfehler nachgesagt, etwa die starke Hinwendung zur Inflationsbekämpfung, aber dafür keine wirtschaftspolitischen Konzepte wie sie etwa die Nationalbank mit den Sozialpartnern beachtete. Und die Inflation ist auch entweder deutlich über oder unter der EZB-Marke von zwei Prozent.
Preisstabilität ist die Basis für Vertrauen und Wachstum. Die EZB kann – wie jede Zentralbank –Inflation besser bekämpfen als Deflation. Zu den „nicht über, aber knapp bei zwei Prozent“, die ein mittelfristiger Wert sind, kam es, um einen Puffer gegen Deflation zu haben. Aber eines muss schon gesagt werden. Keine Notenbank der Welt kann den Ölpreis bestimmen, und der ist Hauptgrund für die niedrigen Inflationsraten in Europa. Dafür sorgte die EZB mit der expansiven Geldpolitik, dass der Abstieg in die Deflation verhindert wurde.
Die EU-Wachstumsraten sind aber – im Vergleich zu den USA und asiatischen Ländern – bescheiden geblieben. Manche Ökonomen schlagen vor, den Fetisch Wachstum überhaupt zu vergessen, und den Wohlstand in Europa an andere Parameter zu koppeln.
Ja, das ist ein massives Problem. Nullwachstum und trotzdem Vollbeschäftigung wie in Japan ist für Europa kein Beispiel. Japan hat einen vollkommen abgeschotteten Arbeitsmarkt, während Europa – und Österreich in besonderem Maß – ein wachsendes Arbeitskräfteangebot verzeichnet, etwa durch Zuwanderung. Über die Qualität dieses Arbeitskräfteangebots entscheidet aber die Geldpolitik nicht.
Die Nullzins-Politik der EZB entlastet die Budgets der Eurostaaten massiv, weil sie weniger für die Staatsschulden zahlen müssen. Die Nationalbank könnte ja darauf dringen, dieses Geld etwa für Bildung und Arbeitsmarktreformen einzusetzen.
Private und staatliche Schuldner werden dadurch entlastet und Schulden tendenziell reduziert. Aber es gilt das Wort des großen Ökonomen Keynes, der meinte, dass man Pferde zu Tränke führen kann, aber trinken müssen sie schon selber. Diese geldpolitische Dividende müsste halt auch eingesetzt werden, etwa in massive Infrastruktur-Investitionen. Der große Investitions-Plan von EU-Kommissionspräsident Juncker benötigt leider eine lange Vorbereitungszeit, um das Bruttosozialprodukte der Euro-Länder stärker wachsen zu lassen.
Manche meinen allerdings, dass genau diese Messgröße obsolet ist. Das sogenannte BIP, also die wirtschaftliche und soziale Wertschöpfung eines Landes, geht zu stark in die Produktion und berücksichtigt die Innovationen zu wenig. Kurz: Europa steht in Wahrheit besser da als die Zahlen zeigen.
Das Bruttoinlandsprodukt ist kein Wohlstandsmaß, es ist bestenfalls eine Annäherung. Es ist auch kein Glücksmaß. Richtig ist, dass etwa Qualitätsverbesserungen unzureichend erfasst werden. Aber das ist das generelle Problem mit Statistiken. Auch hier gilt das Sprichwort, wonach Ökonomen für alles den Preis kennen, aber nicht den Wert.
Kehren wir also ernüchtert zur Nationalbank zurück, und blicken ein paar Jahre nach vorn. Was werden denn die großen Herausforderungen der Zukunft für eine Notenbank sein?
Das zentrale Mandat bleibt Stabilität. Dazu gehört ihre Unabhängigkeit, also geldpolitische Entscheidungen ohne politische Weisungen treffen zu können. Die EZB ist hier weltweit wohl am besten verankert, da diese Unabhängigkeit in den Europäischen Verträgen steht. Inhaltlich wird neben der Preisstabilität die Finanzmarktstabilität wohl wichtiger sein als früher. Und die ist nur noch international lösbar. Das Bankensystem steht vor massiven Veränderungen. Die EZB war übrigens in enorm kurzer Zeit in der Lage, die Aufsicht über die 126 größten Banken der Eurozone zu organisieren. Das war eine große Leistung, die mE zu wenig gewürdigt wird.
Die Notenbanken, und damit auch die OeNB, werden also politischer?
Wir müssen uns der zu Recht bestehenden Forderung nach Transparenz stellen. Die Notenbank-Chefs stehen den jeweiligen Parlamentsausschüssen Rede und Antwort. Wir müssen öffentlich erklären, was wir tun und warum. Daraus entsteht Legitimität. Das betrifft auch sensible Bereiche wie Geldwäscheprüfungen oder Sanktionsüberwachungen. Das sind wir jederzeit bereit, Stellung zu beziehen. All dies aber auf Basis der vollen Unabhängigkeit der Notenbanken - und zwar einer Unabhängigkeit nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber den Märkten.