Gouverneur Nowotny im Interview mit der Kleinen Zeitung – 02.11.2015
02. November 2015, Wien„Es kann sein, dass zu viel reguliert wird“
Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny warnt vor der Deflation. Er verteidigt das milliardenschwere Anleihen-Kaufprogramm der EZB, ist aber gegen eine Ausweitung.
Vorsicht ist das Geschäft eines Notenbankers. Zu sehr können seine Worte auf die Waagschale gelegt und interpretiert werden. Ewald Nowotny ist Gouverneur der österreichischen Nationalbank und Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank EZB. Bis 2019 will Nowotny im Amt bleiben.
Kleine Zeitung: Herr Gouverneur Nowotny, Milliarden um Milliarden investiert die Europäische Zentralbank EZB in das Anleihen-Aufkaufprogramm. Bis jetzt hat es nichts genutzt. Warum ist das Programm ein Flop?
EWALD NOWOTNY: Das muss man differenzierter sehen. Ohne dieses Programm würden wir in erheblich größeren Schwierigkeiten stecken. Es hat bewirkt, dass der Euro-Raum nicht stärker in die Deflation und damit in eine Wirtschaftskrise rutscht. Aber parallel dazu müssen von den Ländern eine expansive Fiskalpolitik und strukturpolitische Maßnahmen kommen.
Kleine Zeitung: Die kommen aber nicht, viele Regierungen gelten als reformunwillig. Warum geht nichts weiter?
Beim Schlagwort der Reformunwilligkeit wäre ich vorsichtig. Es gibt erhebliche Strukturänderungen, im Euro-Raum und auch bei uns. Meine Lieblingsreform, die viel zu wenig beachtet wird, ist das verpflichtende Kindergartenjahr in Österreich. Untergegangen ist zum Beispiel, dass Österreich das Drei-Prozent-Ziel bei der Quote für Forschung und Entwicklung erreicht hat. Man kann sich bei allein mehr wünschen, aber dieses selbstquälerische Übersehen von Reformen ist gefährlich. Ich wundere mich, warum es der Regierung nicht gelingt, diese simplen Fakten konsequent und klar zu kommunizieren.
Kleine Zeitung: Wenn wir die Reformen unterschätzen warum denkt die EZB dann darüber nach, das Anleihenprogramm auszuweiten?
Wir rechnen für den Euro-Raum heuer im Durchschnitt mit einer Inflationsrate von 0,1 Prozent, wenn man Energie und Rohstoffe herausrechnet von 0,8 Prozent. Das Inflationsziel von knapp unter zwei Prozent ist derzeit also deutlich verfehlt. Deshalb muss die EZB handeln. Aber es gibt keinerlei Beschlüsse, es gibt Diskussionen. Ich würde eher zur Vorsicht und einer Politik der ruhigen Hand raten.
Kleine Zeitung: Die Banken in Österreich kämpfen mit vielen Problemen. Manche hausgemacht, andere kommen von den Niedrigzinsen, der Bankensteuer oder den neuen Regulierungen. Glauben Sie, die Regierungen schießen mit den Regulierungen übers Ziel?
Die Bankenkrise des Jahres 2008 war eine Folge von zu viel Deregulierung. Jetzt wird wieder reguliert und ich kann nicht ausschließen, dass das, was vorher zu viel dereguliert wurde, jetzt zu viel reguliert wird. Ich glaube, dass wir vorsichtig sein müssen und in manchen Bereichen die Kosten- Nutzen-Seite nicht ausreichend betrachten.
Kleine Zeitung: Das kann doch nicht im Interesse einer Notenbank sein.
Nein. Man muss aber deutlich sagen: Wir sind nicht Schutzherr von und Lobbyist für Banken. Wir haben sie zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, dass sie ihre volkswirtschaftliche Funktion erfüllen. Also Kapital für die Volkswirtschaft bereitzustellen. Klar ist: Das Bankensystem wird künftig mit höheren Eigenkapitalquoten arbeiten müssen. Die Banken müssen daher zusätzliches Kapital bereitstellen oder gewisse risikoreiche Aktivitäten zurückzufahren.
Kleine Zeitung: Das Problem der Banken ist ja weniger das hohe Eigenkapital als die Kumulation der Belastungen.
Es ist in der Tat das Problem, dass zur Bankensteuer weitere finanzielle Lasten hinzukommen, wie der Abwicklungsfonds und das neue System der Einlagensicherung. Da haben wir als Notenbank darauf hingewiesen, dass man achtgeben muss, dass aus dieser Kumulierung nicht massive Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Ländern entstehen.
Kleine Zeitung: Fordern Sie die Abschaffung der Bankensteuer?
Das ist nicht unsere Aufgabe.
Kleine Zeitung: Die italienische UniCredit überlegt angeblich, das gesamte Privatkundengeschäft und Teile des Firmenkundengeschäfts der Bank Austria zu verkaufen und die Osteuropazentrale aus Wien abzuziehen. Ist das der Strukturwandel,Ist das der Strukturwandel, den Sie sich wünschen?
Die Bank selbst hat dazu noch nichts gesagt. Es gibt nur Zeitungsartikel, und die kommentiere ich nicht. Aber der Strukturwandel in der Kreditwirtschaft wird auch vor Österreich nicht haltmachen. Die Zahl der Beschäftigten im Bankbereich wird zurückgehen. Wir sehen das in anderen Ländern in massivem Ausmaß, da steht uns noch einiges bevor.
Kleine Zeitung: Sie sind jetzt 71 jähre alt, Ihr Vertrag läuft bis 2019. Wie geht es Ihnen denn gesundheitlich?
Danke der Nachfrage, bestens!
Kleine Zeitung: Werden Sie Ihren Vertrag erfüllen?
Ich sehe derzeit keine Gründe, warum nicht. Wenn ich plötzlich unglaubliche Freizeitgelüste bekomme, könnte ich es mir überlegen, derzeit fühle ich mich hier sehr wohl.
Kleine Zeitung: Bei Ihrer Vertragsverlängerung 2013 wurde nämlich spekuliert, Sie könnten die 2. Amtszeit aus gesundheitlichen Gründen vielleicht nicht voll erfüllen. Stimmt das?
Das müssen Sie die Spekulanten fragen. Aus meiner Sicht habe ich einen Vertrag und bin gewillt, ihn zu erfüllen.
Kleine Zeitung: Also keine Gedanken vorher aufzuhören?
Warum sollte ich?
INTERVIEW: MICHAEL CSOKLICH