Gouverneur Nowotny – Interview mit den Salzburger Nachrichten (SN)
24. Juli 2015, WienSN: Herr Gouverneur, wie zuversichtlich sind Sie, dass Griechenland nach der jüngsten Einigung in der Eurozone bleibt?
Nowotny: Man muss ganz nüchtern sagen, dass erst erreicht wurde, dass überhaupt Verhandlungen aufgenommen werden. Es gibt noch etliche Stolpersteine. Aber es gibt ein viel konstruktiveres Verhandlungsklima, sodass ich davon ausgehe, dass man am Ende des Tages eine Lösung findet und man sich auf ein drittes Hilfsprogramm einigt.
SN: Griechenland erhielt am Montag 7,1 Mrd Euro Überbrückungskredit und überwies umgehend 6,75 Mrd Euro an die Geldgeber zurück – ist das eine effiziente Hilfe?
Ich denke schon. Denn hätten die Griechen das Geld nicht erhalten, hätte das Land Bankrott erklären müssen. Die Rückzahlung von Schulden ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Sanierung. Die EZB hat am Mittwoch ermöglicht (durch ein Aufstocken der Notkreditlinie ELA, Anm.), dass Griechenland die Kapitalverkehrsbeschränkungen etwas lockern kann. Das ist kein Ersatz für langfristige strukturelle Verbesserungen, aber es ermöglicht, dass das wirtschaftliche Leben überhaupt weitergeht.
SN: Die Frage zielt auf die Kritik, dass nur ein geringer Teil der Hilfen in der Wirtschaft und bei der Bevölkerung ankommt?
Das sieht aufs erste so aus, aber es geht nicht darum, dass Griechenland eine Art Strafzahlung leisten muss, sondern in der Vergangenheit erhaltene Kredite zurückzahlt. Das ist eine im Wirtschaftsleben Gott sei Dank übliche Vorgangsweise, die auch für Griechenland gelten sollte. Zweitens sind die Zahlungen die Voraussetzung für ein neues Programm, das dann sehr wohl unmittelbare Wirkungen auf die griechische Realwirtschaft hat.
SN: Stichwort Schuldentilgen: Der IWF sagt, Griechenland könne seine Schulden nicht tragen und fordert einen Schuldenschnitt. Was sagen Sie?
Man muss objektiv feststellen, dass eine Schuldenquote, die schon an die 180 Prozent des BIP herangeht, eine gewaltige Belastung ist. Aber es ist ja so, dass die Tilgungen und Zinsen niedrig sowie auf längere Zeit gestundet sind. Die Eurozone und der IWF haben rechtlich enge Grenzen für Schuldenerlässe, aber es gibt andere Wege, die Schuldenlast zu senken. Es gab auch Gespräche darüber, aber die Geldgeber haben gesagt, sie wollten zuerst konstruktive Schritte Griechenlands sehen. Es ist auch nachvollziehbar, dass man nicht mit Nachlässen beginnt. Man kann am Ende aber über ein Strecken der Schuldenlast reden.
SN: Ist die Wahrscheinlichkeit für einen Grexit, also einen Austritt Griechenlands aus dem Euro, zuletzt gesunken?
Sie ist zweifellos massiv gesunken, aber wir haben das neue Programm noch nicht. Daher kann noch immer ein Unfall passieren. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland in der Eurozone bleibt, überwiegt jetzt aus meiner Sicht.
SN: Ist das auch die beste Lösung, es gibt ja Ökonomen, die sagen, Griechenland könne sich außerhalb des Euro besser erholen?
Das ist eine Illusion. Der Übergang zu einer eigenen Währung wäre ein ökonomisches Drama für Griechenland, verglichen mit dem, was es jetzt an strukturellen Maßnahmen machen muss. Für die übrige Eurozone wäre es verkraftbar.
SN: Die EZB ist beim Stabilisieren Griechenlands und der Eurozone bis an ihre Grenzen gegangen. Kritiker sagen, sie hätte sie sogar überschritten. Ist absehbar, wann ein Normalzustand in der Geldpolitik zurückkehrt?
Ein neues Programm wird vom ESM und vom IWF getragen werden. Hier wird der EZB keine zentrale Rolle mehr zukommen. Geplant ist ja, die griechischen Banken zu stabilisieren, dafür sind 10 bis 25 Mrd Euro vorgesehen. Geplant ist, dass sich die Banken dann auf den Märkten finanzieren können und keine Hilfe der EZB mehr benötigen. Andere unkonventionelle geldpolitische Maßnahmen wie das Ankaufsprogramm von Wertpapieren, das bis September 2016 laufen soll, zielen darauf ab, ein Abgleiten in die Deflation zu verhindern. Es sieht so aus, als wäre das erfolgreich, es gibt einen leichten Anstieg der Inflationsraten. Aber ich gehe davon aus, dass die EZB das Programm nicht vorzeitig beenden wird.
SN: Die Aussichten, dass sich an den Niedrigzinsen, real sind sie de facto null, etwas ändert, sind also eher gering?
Man muss realistisch sein. In einer Zeit mit weltweit und speziell in Europa niedrigen Wachstumsraten, gibt es auf längere Zeit auch niedrige Zinssätze. Erst, wenn es wieder zu einem Aufschwung kommt, können die Notenbanken wieder mit den Zinsen hinaufgehen. Diese Debatte haben wir jetzt in den USA.
SN: Dort wird im Herbst mit einer Zinserhöhung gerechnet.
Weil die Wachstumsraten deutlich höher sind und die Arbeitslosigkeit gesunken ist, wird in den USA richtigerweise über eine schrittweise Anhebung der Zinsen diskutiert. In Europa sind wir leider noch nicht so weit. Aber so niedrige Zinsen wie wir sie jetzt haben, sind sicher kein langfristiger Normalzustand.
SN: Länger als Griechenland beschäftigt uns in Österreich die Hypo Alpe Adria. Sie werden im Herbst im parlamentarischen U-Ausschuss aussagen. Sind Sie darauf eingestellt, Fehler der Nationalbank zuzugeben?
Es ist im Ausschuss deutlich geworden, dass die Probleme der Hypo in der Zeit entstanden sind, als sie im Eigentum des Landes Kärnten und später auch der Bayerischen Landesbank war. Bei dem Feuer, das entstanden ist, hatten Notenbank und Finanzmarktaufsicht die Rolle der Feuerwehr, wir sind nicht die Brandstifter. Man kann diskutieren, ob die Feuerwehr etwas hätte besser machen können, aber man muss Ursache und Wirkung unterscheiden.
SN: 2008 stufte die OeNB die Hypo als „not distressed“ ein. Das gab mit den Ausschlag für eine Kapitalspritze von 900 Mill. Euro durch die Republik. Wieso diese Beurteilung, die oft und heftig kritisiert wurde?
In der öffentlichen Diskussion geht leider immer die exakte Formulierung unter. Die lautete, „nicht distressed im Sinne eines unmittelbaren Kapitalbedarfes“. Den gab es auch nicht, nicht zuletzt, weil die BayernLB zuvor eine erhebliche Kapitalerhöhung vorgenommen hatte.
SN: Wenig später gab es dann doch einen Kapitalbedarf von 900 Mill. Euro.
Das war die Aussage, die zu diesem Zeitpunkt zu treffen war, und die auf den Informationen der beeideten Bankprüfer aufbaute. Die OeNB hatte nur drei Tage Zeit, um diese Stellungnahme abzugeben. Daher hat das damals den Tatsachen entsprochen. Die Formulierung hat nicht den EU-Vorgaben entsprochen, wird uns vorgeworfen. Aber wir haben eben versucht, eine Differenzierung vorzunehmen, um die tatsächliche Lage zu beschreiben.
SN: Also für das Prädikat „sound“ hat es nicht gereicht?
Es wäre vermutlich problematisch gewesen, die Hypo als „sound“ (gesund, Anm.) zu bezeichnen, aber sie war im Sinne der Vorgaben auch nicht „distressed“. Insgesamt wird die Bedeutung unserer Stellungnahme maßlos überschätzt und von machen auch gerne missbraucht, um von anderen Dingen abzulenken. Es ging ja nicht um die Frage, ob Partizipationskapital bereitgestellt wird, sondern es ging letztlich um die Verzinsung.
SN: Die Kapitalisierung hätte auch stattgefunden, wenn man die Hypo als „distressed“ oder „sound“ eingestuft hätte?
Sie hat ja auch stattgefunden, aber eben zu anderen Zinssätzen, wenn das Urteil anders gelautet hätte. Das sollte man nicht zu sehr aufblasen.
SN: Anfang Dezember 2009 ist man zur Abschätzung des notwendigen Kapitalbedarfs noch einmal an die OeNB herangetreten, genannt wurden 2 Mrd Euro. Wie wir wissen, war sehr viel mehr nötig, wieso lag man da so weit daneben?
Ich glaube nicht, dass wir weit daneben lagen. Es war der Kapitalbedarf, der sich zu diesem Zeitpunkt ergeben hat. Sechs Jahre später kann man leicht sagen, man hätte das alles zu diesem Zeitpunkt wissen müssen. Dazwischen liegen eben viele Jahre und auch eine starker Einbruch der Wirtschaft. Was für mich Wesentlich ist, ist folgendes: Unmittelbar nach der Verstaatlichung kam von uns und mir persönlich der Vorschlag, die Hypo in eine Bad Bank und eine fortzuführende zu teilen. Das hätte zu deutlich geringeren Belastungen geführt. Aus legitimen Gründen, nämlich der Verringerung der ausgewiesenen öffentlichen Schulden, hat die Republik dieses Modell erst sehr viele Jahre später gewählt.
SN: Nachträglich betrachtet waren es keine guten Gründe.
Wenn die Verschuldung des Staates das Kriterium ist, schon, weil der Ausweis der Schulden erst sehr viel später erfolgen musste. Im Sinne der Schadensminimierung wäre es aber besser gewesen, den von uns empfohlenen Weg einzuschlagen. Aber das war nicht eine Entscheidung, die von der OeNB zu treffen war.
SN: Am Ende steht ein Desaster, das Milliarden Steuergelder verschlingt. Und alle Beteiligten – Notenbank, FMA, mehrere Finanzminister – ziehen sich darauf zurück, sie hätten ihr Bestes getan. Ist es nicht zu wenig, zu sagen, das System hat versagt, sind persönlichen Konsequenzen nötig?
Man darf die finanzielle Katastrophe der Hypo Alpe Adria nicht kleinreden, das ist eine gewaltige Belastung. Ich habe viel Zeit verbracht, nachzudenken, was und ob man etwas hätte besser machen können. Die Sache war aber schon lange vorher so verfahren, dass es keine wirklich guten Lösungen mehr gab. Man kann geteilter Meinung sein, ob alle Schritte richtig waren, auch wir als OeNB haben unser Tun immer wieder selbstkritisch hinterfragt. Aber ich denke, wir haben die richtigen Ratschläge gegeben.
SN: Haben Sie jemals persönliche Konsequenzen erwogen?
Ich bin als Gouverneur für die Geldpolitik zuständig und nicht unmittelbar für die Bankaufsicht. Aber ich bin sicher, dass alle OeNB-Mitarbeiter inklusive der Mitglieder im Direktorium ihre Rolle nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt haben.