Gouverneur Nowotny im Interview mit dem Handelsblatt
19.12.2018EZB-Ratsmitglied Nowotny: „Am meisten Sorgen macht mir die deutsche Wirtschaft“
Zum Interview
Handelsblatt: Gouverneur Nowotny, es gibt derzeit einige Risiken für die Wirtschaft im Euroraum wie etwa die Entwicklung in Italien oder den Brexit. Was macht Ihnen am meisten Sorgen?
Ewald Nowotny: Wenn ich ganz ehrlich bin: Am meisten Sorgen macht mir Deutschland. Die jüngsten Prognosen gehen von einem massiven Rückgang im Wachstum aus. Die große Frage ist, ob das an Sonderfaktoren liegt oder doch strukturelle Gründe hat. Von außen sehe ich, dass es von den Wirtschaftsforschungsinstituten dazu sehr divergierende Einschätzungen gibt.
Was glauben Sie?
Wir haben das natürlich im EZB-Rat diskutiert und dort ist der überwiegende Eindruck, dass es auf Sonderfaktoren wie den Emissionstest in der Autoindustrie zurückzuführen ist. Ich hoffe, dass das stimmt. Mich wundert nur, dass auch andere Länder wie Frankreich von den neuen Emissionstests betroffen sind – und dort gibt es diesen Effekt nicht.
Aber angesichts von Problemen wie etwa dem Brexit: Warum macht Ihnen ausgerechnet Deutschland Sorgen?
Deutschland ist eben bei weitem das größte und wichtigste Land für die Dynamik der Eurozone. Man darf nicht vergessen, dass der Export zwar Deutschlands größte Stärke ist, aber auch eine Schwäche. Damit ist eine starke Abhängigkeit von Entwicklungen im Ausland verbunden. Die aktuellen Risikofaktoren, die wir als EZB sehen, wie geopolitische Faktoren, würden Deutschland besonders treffen. Auch die Ausrichtung der Exporte auf die USA und China ist tendenziell gefährlicher als zum Beispiel die Exportstruktur in Österreich.
Aber was ist mit Italien?
Die Entwicklung dort ist zweifellos problematisch. Zuletzt sind die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen aber nicht weiter gestiegen. Viel hängt vom Verhalten der italienischen Regierung ab. Die aktuelle Politik dort ist langfristig nicht durchhaltbar.
Die EZB geht davon aus, dass Chancen und Risiken für das Wachstum im Euroraum weitgehend ausgewogen sind, sich aber die Balance nach unten neigt. Haben die Risiken nicht deutlich zugenommen in den vergangenen Monaten?
Nein, das würde ich nicht sagen. Natürlich gibt es einzelne Risiken, die gestiegen sind. Geopolitische Faktoren etwa, die Gefahr von Protektionismus oder Probleme in den Schwellenländern. Das sind aber alles Dinge, die nicht spezifisch für die Eurozone sind. Die Weltwirtschaft als Ganzes ist vielleicht von stärkeren Risiken berührt. Das ändert sich aber sehr schnell. Ein Kollege hat von rotierenden Risiken gesprochen. Manche Risiken kommen und andere verschwinden.
Welche Instrumente bleiben der EZB überhaupt in der nächsten Rezession?
Zunächst: Wir sehen keine Rezession. Wenn die EZB wieder zusätzliche Instrumente nutzen müsste, gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten. Auch die Anleihekäufe kann man als Instrument wieder nutzen. Insofern ist auch das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs wichtig, dass dies ein legales Instrument ist.
Ab nächstem Jahr will die EZB keine zusätzlichen Anleihen mehr kaufen. Sie bleibt aber am Markt aktiv, indem sie auslaufende Papiere weiterhin ersetzt. Wie lange soll das noch so weitergehen?
Wir haben gesagt, dass das Ende der Reinvestitionen nach der Zinsentscheidung kommen wird. Wann genau das passiert, haben wir bewusst offengelassen, um eine gewisse Flexibilität zu erhalten.
Die Reinvestitionen sollen sich weiterhin nach dem Kapitalschlüssel der EZB richten, der ab 2019 neu berechnet wird und sich an der Wirtschaftskraft und Bevölkerungsgröße der Euro-Länder orientiert?
Ja, allerdings wird es eine vorsichtige Anpassung an die neuen Quoten geben. Dass wir uns am neuen Kapitalschlüssel orientieren, bedeutet auch, dass zum Beispiel griechische Anleihen gekauft werden können, wenn griechische Anleihen von der EZB wieder zugelassen werden sollten.
Der Beschluss sieht auch vor, dass die EZB weiter nicht nur Staatsanleihen kauft, sondern auch Unternehmensanleihen und Kreditverbriefungen. Wie bewerten Sie das?
Das sehe ich kritisch. Es werden ohnehin kaum Kreditverbriefungen gekauft, insofern ist die Frage, ob es sich lohnt, das aufrechtzuerhalten. Noch kritischer sehe ich die Käufe von Unternehmensanleihen, weil man da ja Verpflichtungen von Einzelfirmen kauft. Dort ist die Gefahr von Verzerrungen und auch das Risiko besonders groß. Ich hätte es bevorzugt, den Kauf von Unternehmensanleihen auslaufen zu lassen und stattdessen mehr Staatsanleihen zu kaufen.
Und der Ausblick bleibt, dass die Zinsen bis über den Sommer 2019 hinaus auf dem bisherigen Niveau bleiben?
Daran ändert sich nichts, das haben wir auf der Ratssitzung in der vergangenen Woche beschlossen. Ich sehe derzeit keinen Grund, von dieser Einschätzung abzugehen.
Die Märkte gehen aber inzwischen davon aus, dass die EZB die Zinsen 2019 nicht mehr erhöht.
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die Markterwartung beunruhigt. Das heißt ja, dass die Märkte entweder eine schwächere Wirtschaftsentwicklung erwarten oder eine langfristig niedrigere Inflationsentwicklung. Ich sehe bisher noch keine Berechtigung für diese Erwartung, aber es ist wichtig, sich damit zu beschäftigen. Es gibt aber keinen Automatismus, dass eine Notenbank den Märkten folgen muss.
Es gibt nach wie vor Zweifel, ob die EZB ihr Ziel einer Inflation von etwa zwei Prozent erreicht. Die so genannte Kerninflation, bei der schwankungsanfällige Preise für Energie und Lebensmittel rausgestrichen werden, gilt als guter Indikator für die langfristige Inflationsentwicklung. Aber sie liegt im Euroraum nach wie vor bei etwa einem Prozent und ist zuletzt sogar gefallen.
Wir rechnen dennoch mit einer steigenden Kerninflation. Die Kerninflation hängt ja entscheidend von der Lohnentwicklung ab. Inzwischen steigen die Löhne deutlich auch wenn das länger gedauert hat als erwartet. Deutschland und Österreich sind Beispiele dafür. Das müsste sich dann auch in einer höheren Kerninflation niederschlagen.
Mit einem möglichen Anstieg der Inflation wäre auch die Diskussion über das Inflationsziel der EZB von etwa zwei Prozent beendet?
Für die EZB ist das derzeit nicht relevant und das Inflationsziel ist ja als ein mittelfristiges zu sehen. Aber von wissenschaftlicher Seite sollte man das sehr genau verfolgen. Die Frage ist, ob wir es langfristig mit niedrigeren Inflationsraten zu tun haben, etwa wegen der Globalisierung. Einige Notenbanken wie die tschechische Zentralbank haben ja schon reagiert, indem sie zwar bei ihrem Inflationsziel von zwei Prozent geblieben sind, aber einen Korridor nach oben und unten haben, um diese Entwicklung etwas abzufangen.
Die Fed will im nächsten Jahr eine Diskussion über ihre Strategie und Instrumente anstoßen. Ist das im Euroraum nicht auch nötig?
Ja, ich glaube jede Institution sollte in gewissen Abständen ihre Instrumente auf den Prüfstand stellen. Allerdings ist es im Euroraum dafür noch zu früh. Im übernächsten Jahr werden wir eine personell deutlich andere EZB haben. Ich glaube, dass sich eine neue Mannschaft dann damit beschäftigt.
Die Banken in Europa leiden unter der Zinspolitik der EZB. Müssen Sie darauf nicht mehr Rücksicht nehmen?
Für Banken ist nicht die Zinshöhe besonders relevant, sondern wie steil die Zinskurve ausfällt. Das hängt besonders von den langfristigen Zinsen ab. Doch eine Notenbank kann nur sehr eingeschränkt die langfristigen Zinsen beeinflussen. Mit dem Ende des Anleihekaufprogramms 2019 wird dieser Einfluss sogar noch zurückgehen. Die Entwicklung bei den langfristigen Zinsen in den USA ist eher beunruhigend. Dort sind auch ohne die Intervention der Notenbank die Zinsen für langfristige Anleihen sehr niedrig. Die Zinskurve ist flach, in manchen Bereichen sogar invers, das heißt, die kurzfristigen sind zum Teil höher als die langfristigen Zinsen. Eine inverse Zinskurve ist immer ein gefährliches Signal sowohl für die Banken, aber auch für die Konjunktur.
Derzeit wird im Euroraum auch über mögliche neue Langfristkredite der EZB an die Banken, so genannte TLTRO’S, diskutiert. Was halten Sie davon?
Wir haben ganz bewusst diese Diskussion von der geldpolitischen Entscheidung, die wir in der vergangenen Woche getroffen haben, abgekoppelt. Es gibt dabei zwei Aspekte: erstens der Liquiditätsaspekt. Die TLTRO‘s haben schließlich schon einen Beitrag zur gesamten Liquidität geleistet. Zweitens gibt es einen Zinseffekt, sie haben also auch zu niedrigeren Zinssätzen für die Realwirtschaft beigetragen. Aus meiner Sicht ist aber der Liquiditätsaspekt der Wichtigere.
Sollte der Zinssatz für solche möglichen Kredite fest oder flexibel sein?
Das hängt natürlich auch von der Laufzeit ab. Ich kann mir eine Fülle von Zwischenlösungen vorstellen. Aber diese Diskussion ist noch nicht geführt worden. Noch haben wir einen Überschuss an Liquidität.
Die EU-Kommission hat ihre Pläne vorgestellt, um die internationale Rolle des Euros zu stärken. Was halten Sie davon?
Das ist sehr sinnvoll. Es ist ja ein beschämender Zustand, dass die USA über den Einsatz des Dollars sämtliche politischen Beschlüsse der EU aushebeln können.
Aber kann der Euro wirklich dem Dollar den Rang ablaufen?
Man muss unterscheiden. Bei Zahlungsverkehrsfunktion ist der Euro dem Dollar bereits fast ebenbürtig. Das große Manko ist, dass der Euro als Reservewährung keine große Rolle spielt. Dies liegt daran, dass die USA über einen gut ausgebauten und sehr liquiden Kapitalmarkt verfügen in Form von US-Staatsanleihen. Das gibt es im Euroraum nicht.
Woran liegt das?
Dem großen und liquiden Kapitalmarkt des Dollars stehen sehr viel kleinere und weniger liquide Kapitalmärkte der europäischen Einzelstaaten gegenüber. Die wichtigsten Schritte, um den Euro zu stärken, wären daher ein gemeinsamer europäischer Kapitalmarkt und ein sicheres europäisches Wertpapier. Das müssen keine Eurobonds sein, da gäbe es auch andere Möglichkeiten. Aber es gibt derzeit leider keine politische Bereitschaft in diese Richtung.
Der ehemalige spanische Finanzminister und jetzige EZB-Vizepräsident, Luis de Guindos, hat empfohlen, die Investmentfonds in Europa wegen wachsender Gefahren genauer unter die Lupe zu nehmen und zu kontrollieren. Teilen Sie die Auffassung Ihres Kollegen?
Ja, ich glaube das ist sinnvoll. Wir sehen eine Gefahr im Bereich der Schattenbanken, die zum Teil Bankfunktionen erfüllen, aber nicht den Regeln der Banken unterliegen. Ich glaube, dass wir die Lehren aus der Finanzkrise gezogen haben und das Bankensystem heute wesentlich stabiler ist. Wenn man sich aber überlegt, wo künftige Schwachstellen entstehen, dann sind das wahrscheinlich Bereiche außerhalb des Bankensystems.
Bedauern Sie es sehr, dass Mario Draghi, den sie von Anfang an begleitet haben, im kommenden Jahr den Chefsessel der EZB verlassen wird?
Ich habe hohen Respekt für Mario Draghi. Er hat die EZB in sehr schwierigen Zeiten sehr gut geführt. Es wird daher eine ganz wichtige Entscheidung sein, wer sein Nachfolger wird. Ich hoffe, dass wir jemand an der EZB-Spitze bekommen, der sowohl die wissenschaftliche Seite der Geldpolitik kennt, aber auch die politische Vermittlung durchführen kann. Es ist schon ein sehr leistungsstarkes Profil.
Wie groß ist denn die Auswahl für die Draghi-Nachfolge?
Die Auswahl ist ein politischer Prozess. Ich hoffe, er führt zu einen solch guten Ergebnis wie im Fall von Mario Draghi. Gott sei Dank gibt es im Euroraum genügend Personen, die einem solchen Profil entsprechen.
Haben Sie einen Favoriten?
Ich glaube, es ist weder guter Stil noch sinnvoll so früh über eine Nachfolge zu spekulieren.
Kann man wirklich bis zur Europa-Wahl im Mai warten, um über die Nachfolge an der Spitze der EZB zu diskutieren?
Ich finde es gefährlich, zu früh über die Nachfolge zu diskutieren. Mario Draghi ist einer, der bis zum letzten Arbeitstag Ende 2019 mit voller Kraft und Einsatz arbeiten wird.
Sie selbst verlassen Ende August nach zehn Jahren das Amt des Gouverneurs der Oesterreichischen Nationalbank. Robert Holzmann, der der rechtspopulistischen Regierungspartei FPÖ nahesteht, soll ihr Nachfolger werden. Ist das eine gute Lösung für Österreich und auch für Europa?
Die gute Kleiderordnung sagt, man kommentiert seinen Nachfolger nicht. Außerdem ist noch kein offizieller Prozess in Gang gekommen.
Sie haben doch eine Meinung, oder?
Aus meiner akademischen Vergangenheit kenne ich Herrn Holzmann und habe durchaus mit ihm ein gutes Verhältnis.
Die Oesterreichische Nationalbank steht im Mittelpunkt der Personalpolitik der rechtskonservativen Regierung. Die FPÖ will Schlüsselpositionen in ihrem Haus besetzen, wie durch eine fehlgeleitete SMS von Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache bekannt wurde. Wird dadurch die Oesterreichische Nationalbank beschädigt?
Ich hoffe sehr, dass alle politischen Kräfte in Österreich die Unabhängigkeit der Notenbank voll verstehen und voll berücksichtigen. Ich hoffe, dass alle politischen Gruppierungen wissen, wie mit der Unabhängigkeit der Notenbank umzugehen ist.
Haben Sie den Eindruck, dass der rechtspopulistische Teil der österreichischen Regierung das schon begriffen hat?
Ich hoffe auf das Beste in der Zukunft.
Die Regierung wird gegen Ihren Widerstand der Notenbank die Bankenaufsicht in Österreich wegnehmen. Kann sich das Blatt noch wenden?
Ich erwarte keine Kehrtwende mehr. Es gibt einen Beschluss im Ministerrat, der besagt, dass die Bankenaufsicht an die Finanzmarktaufsicht gehen wird. Uns bleibt die Bankenaufsicht aus der makroprudentiellen Perspektive. Klar ist, dass die neue Struktur nicht unsere Wunschvorstellung ist. Das Vorgehen in Österreich unterscheidet sich sehr von der Bankenaufsicht in den meisten anderen europäischen Ländern. Das ist eine politische Entscheidung. Wir sind nun dabei, an einer neuen funktionierenden Bankenaufsicht mitzuarbeiten.
Erwarten Sie einen Ansehensverlust für den Finanzmarkt in Österreich?
Wir tun alles nach unseren Kräften um einen Ansehensverlust zu verhindern.
Wir danken für das Gespräch.