Gouverneur Nowotny im Interview mit den Salzburger Nachrichten – 26.07.2017
"Nur nicht abrupt bremsen." Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny plädiert für einen vorsichtigen Ausstieg aus den Anleihekäufen. Die Eurozone hält er für nachhaltig stabilisiert, Griechenland habe allerdings noch einen langen Weg vor sich.
Salzburger Nachrichten: Vor zehn Jahren baute sich die Finanzkrise auf. Sie warnten 2009 vor einem verlorenen Jahrzehnt in Europa. Wie fällt Ihr Resümee aus?
Ewald Nowotny: Es hat sich gezeigt, dass diese Finanzkrise wahrscheinlich die größte wirtschaftliche Herausforderung seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre war. Es gab erfreulicherweise eine rasche Gegenreaktion. Zunächst von den Notenbanken, die den Banken vorübergehend in vollem Ausmaß Geld bereitstellten und so eine Liquiditätskrise unterbunden haben. Und es gelang, strukturelle Probleme zu lösen, durch höhere Mittel des Internationalen Währungsfonds, das hat insbesondere Österreich beim Bewältigen der Probleme in Zentral- und Südosteuropa geholfen. Drittens gab es einen Prozess der Re-Regulierung nach einer Phase der Deregulierung auf den Finanzmärkten, die nachträglich gesehen einer der wesentlichen Gründe für die Finanzkrise war. Bei der Regulierung muss man aber aufpassen, dass man nicht überzieht.
Verlorene zehn Jahre?
Es gibt Staaten, deren Pro-Kopf-Einkommen noch immer unter dem Wert vor der Krise liegt, Österreich gehört erfreulicherweise nicht dazu. Ich würde sagen, fünf verlorene und fünf sehr angespannte Jahre.
Die Konjunkturdaten sind positiv, es wird intensiv über ein Ende der außergewöhnlichen Geldpolitik diskutiert. EZB-Präsident Mario Draghi betonte aber zuletzt, das Programm zum Kauf von Anleihen könnte, wenn nötig, noch ausgeweitet werden. Warum tut sich die EZB mit dem Ausstieg so schwer?
Man muss sagen, dass wir hinter den USA liegen, die sich viel rascher von der Krise erholt haben. Der Hauptgrund ist, dass es dort eine engere Abstimmung von Geld- und Fiskalpolitik gab. Die USA waren bereit, höhere Defizite in Kauf zu nehmen. Das hat der US-Notenbank erlaubt, die eigenen expansiven Maßnahmen schrittweise zurückzunehmen, wenn auch sehr vorsichtig.
Die Fed hatte es leichter, weil ihr nur eine Regierung gegenübersteht?
Sicher, das ist zweifellos ein Vorteil. Die expansivere Fiskalpolitik hängt damit zusammen, dass die Verschuldungskapazität der USA größer als die eines einzelnen europäischen Staates. Auch wenn der Euro aufgeholt hat, ist der Dollar die führende Währung. Aber es gibt im Unterschied zu den USA eben keine einheitliche Euro-Verschuldung.
War die Strategie der USA besser, den Banken die faulen Assets rasch abzunehmen und sie am Ende sogar mit Gewinn wieder abzustoßen?
Im Nachhinein gesehen war, glaube ich, das amerikanische Modell das erfolgreichere. Auch in Europa haben einzelne Staaten das Problem über große Bad Banks entschärft, Deutschland, Irland und Großbritannien, aber es gab eben keine gesamteuropäische Lösung.
Zurück zur Geldpolitik. Laut Bundesbank-Präsident Jens Weidmann steht die EZB an einem Wendepunkt. Er fordert klare Signale, wann und wie der Ausstieg erfolgen soll. Sehen Sie das auch so?
Ich glaube, dass die EZB vor der Notwendigkeit einer baldigen klaren Kommunikation steht, weil das jetzige Programm ein Ablaufdatum mit Jahresende hat. Insofern stimme ich mit Weidmann überein. Die Frage ist, nicht wann, sondern wie es weitergeht. Das wird von den wirtschaftlichen Perspektiven für 2018 abhängen, die wir in diesem Herbst haben werden.
Welches Signal wäre richtig?
Weidmann sagte zuletzt, man sollte den Fuß vom Gaspedal nehmen. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Bild. Es geht nicht um eine abrupte Bremsung, aber darum, zu registrieren, dass wir nicht mehr mit einer so akuten Krise konfrontiert sind, wie zum Zeitpunkt, als die Maßnahmen gesetzt wurden. Das Wachstum hat sich beschleunigt, und es besteht keine Gefahr einer Deflation mehr. Dennoch hatten wir 2016 noch eine Inflationsrate von nur 0,3 Prozent.
Reicht es, das monatliche Volumen der Käufe zu kürzen, oder soll es einen Fahrplan für den Ausstieg geben?
Ich halte es für klug, langsam vom Gas zu gehen. Auch die US-Notenbank hat das Tapering (allmähliche Rücknahme der Anleihenkäufe) eingesetzt, ohne sich auf einen festen Zeitplan zu verpflichten.
Sie haben die Regulierung nach der Finanzkrise erwähnt. Hat das Europas Banken stabiler gemacht, immerhin schieben sie noch faule Kredite von 1 Billion Euro vor sich her?
Die Banken sind eindeutig wesentlich stabiler. In ganz Europa haben sie ihre Eigenkapitalquoten seit der Krise verdoppelt, in Österreich sogar mehr als verdoppelt. Da gab es große Fortschritte.
Wiewohl der Auslöser der Finanzkrise, der Fall von Lehman Brothers, ein Liquiditätsproblem war?
Das ist richtig, aber in weiterer Folge hat sich daraus ein Vertrauensproblem entwickelt. Und das Vertrauen in Banken hängt ganz stark von der Höhe ihres Eigenkapitals ab. Was faule Kredite angeht, muss man nach Ländern unterscheiden. In Österreich gibt es einen starken Rückgang. Sie sind jetzt auch besser sichtbar, weil es seitens der EBA (Europäische Bankenaufsicht) erstmals eine gemeinsame Definition für faule Kredite gibt. Besonderes Augenmerk liegt hier bekanntlich auf einigen italienischen Banken.
Italienische Banken sind ein Beispiel für Regeln, die sich die Politik gibt, konkret jene, dass keine Bank mehr mit Geld der Steuerzahler gerettet werden soll, sondern die Gläubiger zahlen sollen. Bei der Monte dei Paschi di Siena wurde diese Regel gebrochen, weil viele Anleihegläubiger Kleinanleger sind. Ist das nicht gefährlich?
Die europäischen Regeln machen einen Unterschied zwischen großen und kleinen Banken. Für große gilt das Bail-in, für kleine die nationalen Regeln. Was in Italien gemacht wurde, war rechtlich korrekt. Wir hatten den ersten Fall überhaupt in Europa mit der Hypo Alpe Adria, der ist erfolgreich abgewickelt worden und hilft bei der positiven Sicht auf Österreichs Banken. Wir haben einen Fall in Spanien, wo sich ein Käufer gefunden hat (Santander übernahm die Banco Popular). Man sollte die Regeln im Lichte der praktischen Beispiele im gesamtwirtschaftlichen Kontext sehen.
Die Rettung der Monte dei Paschi di Siena mit staatlichen Hilfen war also kein Sündenfall?
Sie ist eine der größten Banken in Italien, da war es nötig, auch auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen zu achten. Problematisch war die lange Phase der Unsicherheit. Aber es heißt nicht notwendigerweise, dass eine staatliche Intervention in jedem Fall nicht sinnvoll ist. Bei ganz großen Banken wird man mit dem bestehenden Instrumentarium vermutlich auch nicht durchkommen. Ich halte es für richtig, dass man eine Gläubigerbeteiligung versucht, sofern sie ökonomisch sinnvoll ist. Aber es darf damit nicht mehr Schaden als Nutzen verbunden sein.
Die Geldgeber haben sich geeinigt, das Hilfsprogramm für Griechenland weiter zu finanzieren. Die Regierung versucht eine Rückkehr an den Kapitalmarkt. Ist das klug?
Da geht es um symbolische Handlungen, nicht um große Volumina. Das macht Sinn, weil Kapitalmärkte stark von der Psychologie bestimmt sind. Griechenland ist damit dort, wo es schon vor vier Jahren war. Es ist ein gutes Signal, heißt aber nicht, dass sich Griechenland bald künftig selbst zur Gänze finanzieren kann.
Das Programm läuft bis Mitte 2018. Lässt sich aus heutiger Sicht sagen, ob Griechenland dann über den Berg ist?
Das ist gar nicht die Annahme, es geht um die richtige Richtung. Griechenland ist massiv verschuldet, das wird noch lange so sein. Wie man damit umgeht, wird die zentrale Diskussion nächstes Jahr sein.
Wie ist Ihre Position?
Ein einfacher Schuldenschnitt wäre sehr problematisch, für Notenbanken entspräche das einer verbotenen Staatsfinanzierung. Aber es gibt eine Reihe anderer Möglichkeiten, die Verlängerung der Tilgung oder Entlastung beim Schuldendienst, mit der man die Tragfähigkeit der Schulden erhöhen kann.
Man schiebt das Problem damit nur weiter hinaus.
Aber man macht es damit auch lösbar. Das ist bei Banken und säumigen Kreditnehmern in manchen Fällen nicht anders.
Waren es die hunderten Milliarden wert, die man investiert hat, um Griechenland in der Eurozone zu halten?
Da ging es nicht um ein einzelnes Land, sondern um Erwartungen. Ein Konkurs von Griechenland hätte die Erwartungen der Finanzmärkte für andere Länder im Süden massiv verschlechtert. Aus dieser Sicht war es klug, dass man eingegriffen hat. Ob jede einzelne Maßnahme richtig war, darüber kann man lange streiten. Ich persönlich glaube, man hat zu stark auf eine Einschränkung der Binnennachfrage gesetzt und man hätte die sozialen Aspekte stärker berücksichtigen müssen. Hier hat ja ein gewisser Lernprozess eingesetzt, nicht zuletzt beim IWF.
Ist es gelungen, die Eurozone nachhaltig zu stabilisieren?
Ja, die Erwartung der Märkte hat sich massiv geändert. Es hat ja eine Zeit gegeben, in der massiv auf den Zerfall der Eurozone spekuliert wurde. Diese Spekulation gibt es nicht mehr, die Eurozone hat sich als bleibendes Element etabliert.