Bankensektor erfüllt in der COVID-19-Pandemie weiterhin vollumfänglich seine Funktion – ansteigende Insolvenzen werden die Kreditqualität bei Banken jedoch merklich verschlechtern
(, Wien)Präsentation des 40. Financial Stability Report der OeNB
Die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie haben zum schwersten Wirtschaftseinbruch in Österreich seit vielen Jahrzehnten geführt. Stützungsmaßnahmen von Regierung, Zentralbank und Aufsicht haben bislang u.a. darauf abgezielt, die Liquidität der Unternehmen durch Sicherung der Kreditversorgung aufrechtzuerhalten. Auf längere Sicht wird dadurch jedoch die Unternehmensverschuldung steigen. Wenn Hilfsmaßnahmen künftig auslaufen, erscheinen die Risken für die Finanzmarktstabilität auch aufgrund der aktuell robusten Verfassung des Finanzsektors aus heutiger Sicht bewältigbar. Mit dem zu erwartenden Anstieg der Insolvenzen im Jahr 2021 wird sich allerdings auch die Kreditqualität in den Kreditportfolios der Banken merklich verschlechtern. Diese haben deshalb bereits begonnen Vorsorgen zu treffen, was zu einem deutlichen Gewinneinbruch im ersten Halbjahr 2020 führte.
Nach den Kurseinbrüchen in Reaktion auf den Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben sich die internationalen Finanzmärkte dank des entschlossenen Eingreifens von Geld- und Wirtschaftspolitik stabilisiert. „Sowohl die Renditen auf dem Euro-Staatsanleihenmarkt als auch die Risikoaufschläge bei Staats- und Unternehmensanleihen haben sich wieder auf das Niveau vor Ausbruch von COVID-19 zurückgebildet. Die Stabilisierung der Finanzmärkte verbesserte die Finanzierungsbedingungen von Unternehmen, Haushalten und auch Staaten,“, sagte Gouverneur Robert Holzmann anlässlich der Präsentation der 40. Ausgabe des Financial Stability Report der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB).
Die Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie haben im ersten Halbjahr 2020 zu einem massiven Rückgang der Wirtschaftstätigkeit in Österreich geführt. Nach einer kräftigen Erholung im dritten Quartal kam der konjunkturelle Aufholprozess zum Erliegen. Der zweite Lockdown im November wird voraussichtlich einen neuerlichen, wenngleich im Vergleich zum Frühjahr 2020 geringeren Wirtschaftseinbruch bewirken. In vielen Unternehmen haben abrupte Umsatzrückgänge zu einem sprunghaften Anstieg des Liquiditätsbedarfs geführt. In diesem Umfeld hatte die Sicherung der Liquidität der Unternehmen oberste Priorität. Ein zentrales Instrument bildete dabei die Kreditvergabe durch die Banken. Fiskalische, geldpolitische und aufsichtliche Stützungsmaßnahmen zielen u.a. darauf ab, die Kreditversorgung der Unternehmen sicherzustellen. Das Kreditwachstum in Österreich blieb daher auf ähnlichem Niveau wie vor COVID-19. Ausleihungen dienen im aktuellen Umfeld vorrangig der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, während Finanzierungen von Investitionen in den Hintergrund getreten sind.
Die umfangreichen Unterstützungsmaßnahmen haben die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die realwirtschaftlichen Sektoren abgefedert. Die Unternehmensinsolvenzen entwickelten sich im zweiten und dritten Quartal dieses Jahres sogar rückläufig, wenngleich dies auch aufgrund der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung der Fall war. Durch die Kreditaufnahmen wird der Verschuldungsgrad der Unternehmen steigen. Gleichzeitig werden sinkende Unternehmensgewinne als Folge des Wirtschaftsabschwungs die Mittel verringern, die für den Schuldendienst zur Verfügung stehen, und überdies den Eigenkapitalaufbau belasten. Ein von der OeNB entwickeltes Modell zur Abschätzung der zu erwartenden Unternehmensinsolvenzen zeigt, dass die umfangreichen Hilfsmaßnahmen die Anzahl der Insolvenzen im heurigen Jahr um rund zwei Drittel reduzieren.
Der österreichische Bankensektor erfüllt auch in der anhaltenden COVID-19-Pandemie weiterhin vollumfänglich seine wirtschaftliche Funktion. Die Ausnutzung von Kreditmoratorien, die vor allem zu Beginn der Pandemie stark war, ist in Österreich mittlerweile deutlich rückläufig. Trotz der umfangreichen Unterstützungsmaßnahmen für den realwirtschaftlichen Sektor ist im weiteren Verlauf der COVID-19-Pandemie ein Anstieg der Insolvenzen zu erwarten, der sich auch in merklich steigenden Kreditrisikokosten bei den Banken widerspiegeln wird. Aufgrund der im Vergleich zur Finanzkrise deutlich verbesserten Kapital- und Liquiditätssituation des Bankensektors zu Beginn der Pandemie erscheinen aus heutiger Sicht die mit dem Auslaufen der Hilfsmaßnahmen verbundenen Risiken bewältigbar. „Für zukünftige Herausforderungen, die aus der COVID-19-Pandemie resultieren, haben die österreichischen Banken bereits im ersten Halbjahr 2020 begonnen, ihre Risikovorsorgen zu erhöhen “, erklärt Vize-Gouverneur Gottfried Haber. Das spiegelt sich nun in einem starken Einbruch des Halbjahresgewinns des Bankensektors im Vergleich zum Vorjahr wider. Eine ähnliche, wenn auch weniger deutliche Entwicklung zeigt sich auch bei den österreichischen Tochterbanken in CESEE.
Die österreichischen Banken haben ihre Eigenmittelausstattung im ersten Halbjahr 2020 stabil gehalten. Dazu haben auch die auf europäischer Ebene vorübergehend gewährten regulatorischen Erleichterungen beigetragen. Die Ergebnisse des aktuellen Stresstests zeigen zudem, dass der heimische Bankensektor über eine adäquate Risikotragfähigkeit verfügt. Die Banken sind ausreichend kapitalisiert, um die Realwirtschaft weiterhin mit Krediten zu versorgen. Trotz großer Herausforderungen steht das österreichische Bankensystem im europäischen Vergleich weiterhin gut da, was unter anderem auch von den internationalen Ratingagenturen gewürdigt wird. Notleidende Kredite konnten in den vergangenen Jahren deutlich reduziert werden, und die Profitabilität liegt trotz des deutlichen Gewinneinbruchs über dem europäischen Durchschnitt. Um ihre Ertragskraft auch mittelfristig sicher zu stellen, haben die Banken Maßnahmen zur Steigerung ihrer Effizienz ergriffen. So wurde die Anzahl der Zweigstellen in Österreich in den letzten Jahren deutlich verringert. Dessen ungeachtet ist die Erreichbarkeit von Banken für den Großteil der Bevölkerung nach wie vor gut, wie eine Studie im aktuellen Bericht zeigt.
Neben den schon seit längerem bestehenden umfassenden Herausforderungen aufgrund des Niedrigzinsumfelds belasten jedoch nun auch höhere Wertberichtigungen die Profitabilität des österreichischen Bankensektors. Mehr als ein halbes Jahr nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie haben gesetzliche und freiwillige Maßnahmen eine stark unterstützende Wirkung für die Realwirtschaft - und somit indirekt auch für die Banken - entfaltet. Gleichzeitig erschweren einige dieser Maßnahmen auch die Risikoeinschätzung durch Banken, Investoren und letztlich die Aufsicht. Darüber hinaus stellen der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit und die gestiegene Verschuldung der Unternehmen höhere Risiken für die Finanzmarktstabilität dar. In diesem herausfordernden Umfeld und im Hinblick auf die Stärkung der Finanzmarktstabilität, empfiehlt die OeNB den Banken
- in Anbetracht weiter steigender Kreditrisiken und erhöhter Unsicherheit das Augenmerk auf eine solide Kapitalbasis zu legen, d.h. in Übereinstimmung mit europäischen Empfehlungen Abstand von Aktienrückkäufen zu nehmen und Gewinnausschüttungen sorgfältig abzuwägen,
- sich auf das Auslaufen von Zahlungsmoratorien und staatlichen Garantien für Kredite vorzubereiten und die Transparenz bezüglich der Qualität ihres Kreditportfolios sicherzustellen,
- nachhaltige Kreditvergabestandards (insbesondere bei Immobilienkrediten) und die quantitative Leitlinie des Finanzmarktstabilitätsgremiums einzuhalten,
- auch in herausfordernden Zeiten die operative Effizienz weiter zu steigern, um eine nachhaltige Profitabilität zu sichern, und
- geeignete Strategien zum Umgang mit Herausforderungen aufgrund neuer Informationstechnologien zu entwickeln und umzusetzen.
Der halbjährlich in englischer Sprache erscheinende Financial Stability Report der OeNB analysiert finanzmarktstabilitätsrelevante Entwicklungen in Österreich und im internationalen Umfeld sowie Spezialthemen im Zusammenhang mit der Finanzmarktstabilität.