Die Zahlungsbilanz
Das Wort „Zahlungsbilanz“ ist eigentlich etwas irreführend: Es muss sich nicht unbedingt um Zahlungen handeln und im Gegensatz zu einer Unternehmensbilanz ist sie nicht stichtagsbezogen. Genau genommen ist die Zahlungsbilanz eine „systematische Darstellung der wirtschaftlichen Beziehungen eines Landes oder eines Währungsraums mit dem Rest der Welt innerhalb eines bestimmten Zeitraums“.
Nach internationalen Konventionen (6. Zahlungsbilanzhandbuch des IWF und Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen ESVG 2010) orientiert sich die Zahlungsbilanzstatistik an Transaktionen, d. h. Rechtsgeschäften, die grenzüberschreitend stattfinden, und zu laufenden Transaktionswerten, d. h. Marktpreisen, bewertet werden. Grenzüberschreitend bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Rechtsgeschäfte zwischen Inländern und Ausländern abgewickelt werden. Inländer im Sinne der Zahlungsbilanz sind natürliche und juristische Personen, die den Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. ihren (Wohn-)Sitz im Inland haben. Die Staatsbürgerschaft ist somit nicht das relevante Kriterium.
Realwirtschaft – Finanzwirtschaft
Die Zahlungsbilanz gliedert sich in zwei Hauptteile, einen realwirtschaftlichen und einen finanzwirtschaftlichen Teil. Der realwirtschaftliche Teil wird überwiegend in der Leistungsbilanz abgebildet, der finanzwirtschaftliche Teil überwiegend in der Kapitalbilanz. Die Zahlungsbilanz folgt dabei, ähnlich wie eine Buchhaltung, dem Prinzip der zweifachen Erfassung (Buchung und Gegenbuchung). Am besten lässt sich dieser Gedanke an einem Beispiel erklären: Österreichs Unternehmen haben innerhalb eines Jahres ein Volumen von rund 100 Mrd EUR an Waren exportiert. Diese Summe wird als Eingang (Credit) in der Leistungsbilanz gebucht. Der Wert dieser Exporte wird den Unternehmen von ihren Handelspartnern im Rahmen des Bankensystems gutgeschrieben. Dieser Vorgang wird in der Kapitalbilanz als Aufbau von Forderungen (bzw. als Abbau von Verpflichtungen) abgebildet. Wie aus diesem Beispiel ersichtlich, müssten sich die Teile der Zahlungsbilanz in Summe ausgleichen. Die Erstellung einer Zahlungsbilanzstatistik für eine gesamte Volkswirtschaft kann aber niemals so genau sein wie die Buchhaltung eines einzelnen Unternehmens, was zu sogenannten Statistischen Differenzen führt.
Die Leistungsbilanz
Der realwirtschaftliche Teil der Zahlungsbilanz setzt sich aus folgenden vier Teilaggregaten zusammen:
Güter
Die Güter- oder Handelsbilanz erfasst die Exporte und Importe von Gütern zwischen In- und Ausland. Datenquelle ist in Österreich die Außenhandelsstatistik. Für Zwecke der Zahlungsbilanz wird diese um Transport und Versicherungsbestandteile bereinigt, ebenso um Transaktionen von Unternehmen, die in Österreich keinen eigenen Sitz haben. Ergänzt wird die Außenhandelsstatistik um Hilfs- und illegale Lieferungen sowie um Güterexporte und -importe, die nicht die österreichische Grenze passieren.
Dienstleistungen
Diese Position beinhaltet Angebot und Nachfrage von Diensten zwischen In- und Ausland. Wie beim Außenhandel wird zwischen Einnahmen (Exporten) und Ausgaben (Importen) unterschieden (Güter und Dienstleistungen ergeben zusammen den sogenannten Außenbeitrag, der ein Bestimmungsfaktor der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ist und in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts eingeht). Für Österreich ist eine der wichtigsten Dienstleistungskomponenten der Reiseverkehr. Darüber hinaus erfasst die Position eine Vielzahl an Leistungsarten, unter anderem Frachten- und Personentransport, Versicherungs- und Finanzdienstleistungen, technische und kaufmännische Tätigkeiten.
Primäreinkommen
Das Primäreinkommen umfasst Einkünfte die im Rahmen des Produktionsprozesses oder der Vermögensbildung anfallen. Dazu zählt das Einkommen (Löhne und Gehälter) aus unselbstständigen Tätigkeiten, die Inländer für ausländische Arbeitgeber erbringen bzw. Ausländer für inländische Arbeitgeber. Vermögenseinkommen sind Erträge (z. B. Dividenden, Zinsen, Gewinnausschüttungen), die aus grenzüberschreitenden Investitionen bzw. Finanzierungen entstehen und in der Kapitalbilanz abgebildet werden. Damit besteht ein weiterer, enger Zusammenhang zwischen Leistungsbilanz und finanzwirtschaftlichen Transaktionen.
Sekundäreinkommen
Sekundäreinkommen resultieren aus der Einkommensumverteilung, wie Gastarbeiterüberweisungen, Versicherungsleistungen, Pensionen und Renten oder Zahlungen an den EU-Haushalt. Dabei handelt es sich um wiederkehrende oder häufige Transfers zwischen In- und Ausländern, die ohne unmittelbare Gegenleistung erbracht werden.
Vermögensübertragungen
Vermögensübertragungen beinhalten unregelmäßige Transaktionen, die vermögenswirksam sind und wie bei den laufenden Transfers ohne direkte Gegenleistung erbracht werden. Beispiele sind Schuldenerlässe sowie Transaktionen mit nicht produzierten und nicht finanziellen Vermögenswerten, wie der Kauf/Verkauf von CO2-Emissionszertifikaten oder Sportlerablösen
Die Kapitalbilanz
Direktinvestitionen
In diese Teilposition fällt der Erwerb von Unternehmensanteilen mit dem Zweck der Einflussnahme auf die Unternehmensführung, wobei die Beteiligung mindestens 10 % am Grundkapital (einschl. Zweigniederlassungen und Betriebsstätten) betragen muss. Neben Kapitalanteilen beinhalten Direktinvestitionen auch Kredite verbundener Unternehmen und grenzüberschreitende Transaktionen mit Grundstücken.
Portfolioinvestitionen
Diese beinhalten grenzüberschreitende Veranlagungen in Wertpapieren, soweit sie nicht zu Direktinvestitionen zählen. Erfasst werden Anteilsscheine (Aktien, Investmentzertifikate) und verzinsliche Wertpapiere (Anleihen, Geldmarktpapiere). Die Unterscheidung von Inland und Ausland richtet sich dabei nach dem Sitz des Emittenten.
Finanzderivate
Darunter werden grenzüberschreitende Transaktionen, im Wesentlichen in Optionen, Futures, Forward Rate Agreements, Zins- und Währungsswaps, erfasst.
Sonstige Investitionen
In dieser Position wird der übrige Kapitalverkehr berücksichtigt, der nicht den anderen Finanzierungsinstrumenten zuzuordnen ist. Insbesondere sind dies grenzüberschreitende Bankkredite und -einlagen (Sicht-, Termin-, Spareinlagen) sowie Handelskredite.
Offizielle Währungsreserven
Darunter sind alle Forderungen in der Verwaltung der nationalen Notenbanken zu verstehen, die nicht in Euro denominiert sind und nicht gegenüber Ansässigen des Euroraums bestehen. Es kann sich hierbei um alle Instrumente handeln, die in obigen Kategorien erwähnt wurden. Konkrete Beispiele sind der Goldbestand, Sonderziehungsrechte und die Beteiligung beim Internationalen Währungsfonds (IWF). Die offiziellen Währungsreserven in der Verwaltung der nationalen Notenbanken im Euro-Währungsgebiet sind als Teil der gesamten Währungsreserven des Euroraums zu sehen.
Zusätzliche Informationen zur Zahlungsbilanz
Die Zahlungsbilanz des Euroraums
Die Zahlungsbilanz des Euroraums wird von der EZB aus Meldungen der Mitgliedsländer über deren Außenwirtschaftstransaktionen mit Ländern außerhalb des gemeinsamen Währungsraums erstellt. Die Institutionen der EU (mit Ausnahme der EZB) werden statistisch nicht als Ansässige des Euroraums behandelt. Während die nationalen Zahlungsbilanzen seit dem Beginn der Europäischen Währungsunion insbesondere wettbewerbspolitische Bedeutung haben, ist die Zahlungsbilanz des Euroraums eine der wichtigsten Kennziffern für die Geldpolitik des Eurosystems.
Die österreichische Zahlungsbilanz
In Österreich wird die Zahlungsbilanz seit 2006 auf Basis eines direkten Befragungssystems über grenzüberschreitende Transaktionen bei den Wirtschaftstreibenden erhoben. Gesetzliche Grundlage der Meldungen ist das Devisengesetz, Spezifikationen erfolgen in Meldeverordnungen der OeNB. In der Erstellung der Leistungsbilanz kooperiert die OeNB eng mit dem anderen großen Statistikanbieter in Österreich, Statistik Austria.
In mehrstufigen Aggregationsverfahren werden die Einzeldaten nach verschiedenen Dimensionen (global, regional, nach Währungen) bis zum Endprodukt Zahlungsbilanz verdichtet. Dabei gibt es unterschiedliche Auswertungen, deren Detailgliederungen den jeweiligen Anforderungen (national, Eurosystem, EU, IWF etc.) entsprechen.
Veröffentlichungen
Die OeNB stellt auf ihrer Website ein umfangreiches Tabellenangebot zur Zahlungsbilanz zur Verfügung, das entsprechend dem Publikationsrhythmus laufend aktualisiert wird. Daneben können Interessierte im Rahmen einer dynamischen Abfrage Tabellen nach individuellen Anforderungen zusammenstellen und nach erfolgtem Login abspeichern. Über das reine Angebot statistischer Daten hinaus informiert die OeNB Journalisten und die allgemeine Öffentlichkeit in Form von Presseaussendungen, Pressekonferenzen sowie Berichten und Analysen in der Halbjahrespublikation „Statistiken – Daten & Analysen“ über neueste Ergebnisse und Trends der österreichischen Außenwirtschaft. Das Service der Statistik-Hotline der OeNB ergänzt das über Internet und Publikationen zur Verfügung stehende Informationsangebot.