Aus Schulden lernen – das Finanzbildungsangebot der staatlich anerkannten Schuldenberatungen
Stefan Gschiegl, 8.11.2023Seit den 1990er-Jahren bieten die staatlich anerkannten Schuldenberatungen[1] in Österreich Angebote in der Finanzbildung an. Dabei wird, getreu dem Motto „Finanzielle Allgemeinbildung schon in jungen Jahren ist der beste Weg, um spätere Überschuldung zu vermeiden“, durch gezielte Präventionsarbeit der Verschuldung besonders gefährdeter Bevölkerungsgruppen und der Überschuldung privater Haushalte entgegengewirkt.
„Wir verstehen Finanzbildung als finanzielle Basis-Bildung. Wir wollen junge Menschen fit für finanzielle Alltagsentscheidungen machen. Das ist deutlich mehr, als die richtige Definition von Kredit- oder Zinseszinsen zu kennen. Es geht um den Menschen selbst und nicht um Aktien, Wertpapiere oder Anlageformen. Denn dahin, etwas übrig zu haben, das man veranlagen kann, muss man erst einmal kommen.“ Mag. (FH) Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer ASB Schuldnerberatungen GmbH
Diese strategischen Ziele teilen die Schuldenberatungsstellen mit der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), die die Finanzbildungsaktivitäten der österreichischen Schuldenberatungen seit dem Jahr 2022 mit einer Basisfinanzierung unterstützt. Im vergangenen Jahr wurden damit Finanzbildungsaktivitäten von knapp 50 Mitarbeiter:innen in den staatlich anerkannten Schuldenberatungsstellen unterstützt, was wesentlich dazu beiträgt, die Aktivitäten der Schuldenberatungen im Bereich Finanzbildung zu bündeln, effizienter zu koordinieren und noch weiter auszubauen. Konkret konnte mit der Förderung der OeNB eine zusätzliche Projektleitungsstelle eingerichtet werden, die für die bundesweite Koordinierung, Vernetzung und weitere Auswertung der angebotenen Formate in der Finanzbildung tätig ist.
Gleichzeitig wird mit der OeNB-Subvention der ganzheitliche Ansatz der Schuldenberatungen in der Finanzbildung unterstützt: „Basis-Finanzbildung des Individuums“ ist ein wichtiger Beitrag für eine finanziell gesunde Allgemeinheit. „Finanzbildung wirkt aber nur bei jenen Menschen, die (noch) finanziell handlungsfähig sind. Die gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Monate durch die steigende Inflation verringern die individuelle Handlungsfähigkeit massiv. Diese Tatsache sehen wir als einen gesellschaftlichen Auftrag“, so Clemens Mitterlehner, der zudem betont: „Sensibilisierung der Allgemeinheit für die Situation von (potenziell) armutsgefährdeten Menschen sehen die Schuldenberatungen auch als wichtigen Teil ganzheitlicher Finanzbildung. Durch das finanzielle Engagement der OeNB wird so auch diese Sensibilisierung der Öffentlichkeit wesentlich unterstützt.“
Warum braucht es finanzielle Allgemeinbildung?
Knapp 22 % der Klient:innen der Schuldenberatungen sind höchstens 30 Jahre alt. Sie haben also schon in jungen Jahren so viele Schulden angehäuft, dass sie Schwierigkeiten bei der späteren Rückzahlung ihrer Verbindlichkeiten haben. Der betroffene Personenkreis ist zusätzlich durch zwei sozioökonomische Faktoren gekennzeichnet: unterdurchschnittliches Bildungsniveau und geringes Einkommensniveau. Bei den Klient:innen bis 30 Jahre ist der Anteil mit geringer Ausbildung dabei besonders hoch: Mehr als die Hälfte (51 %) hat lediglich einen Pflichtschulabschluss. 29 % der jungen Klientel verfügen über weniger Einkommen als das Existenzminimum. 34 % haben keinen Erwerbsjob, was die Schuldenregelung besonders schwierig macht. Angesichts des täglichen Umgangs mit schlecht gebildeten, immer jünger werdenden Klient:innen haben die Schuldenberatungen schon vor Jahrzehnten akuten Handlungsbedarf in der Finanzbildung gesehen und angefangen, Angebote dafür zu entwickeln.
Auch Geschlecht spielt eine Rolle
Zahlreiche Erhebungen und Statistiken im Bereich der Finanzbildung zeigen zudem, dass es im Finanzverhalten und in der Verschuldung wesentliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Während Männer generell beim Finanzwissen deutlich besser Bescheid wissen als Frauen, schneiden sie beim Finanzverhalten tendenziell schlechter ab.
Die Durchschnittsverschuldung bei der Altersgruppe unter 30 Jahren liegt 2022 bei 33.845 Euro. Junge Männer weisen dabei mit 36.683 Euro eine höhere Durchschnittsverschuldung auf als junge Frauen mit einer Durchschnittsverschuldung von 29.266 Euro. Die Schuldenberatungen schließen demnach auch den Faktor Geschlecht gezielt in ihre Finanzbildungstätigkeiten mit ein, um einzelne Zielgruppen systematisch noch besser ansprechen zu können.
Fokus auf junge Erwachsene – eine schwierig zu erreichende Zielgruppe
Der Fokus der Finanzbildungsaktivitäten der staatlich anerkannten Schuldenberatungen liegt demnach insbesondere auf jungen Erwachsenen, da diese sich besonders häufig mit Anfragen verschiedenster Art an die Schuldenberatungen wenden. Diese Daten zeigen durchgängig, wie wichtig Finanzbildung zur Prävention übermäßiger Verschuldung junger Menschen ist. Oft fehlt es an Wissen und einem grundlegenden Verständnis dafür, wie der alltägliche Umgang mit Geld gestaltet werden müsste, um langfristige finanzielle Ziele zu erreichen. Allerdings darf auch nicht ignoriert werden, dass die grundsätzliche Möglichkeit der Deckung von Grundbedürfnissen eine essenzielle Voraussetzung dafür ist, um Verschuldung vorzubeugen. Gerade infolge der Corona-Pandemie und der steigenden Inflation fällt es zunehmend mehr Menschen immer schwerer, ihre alltäglichen Ausgaben zu decken.
Um der Verschuldung junger Erwachsener vorzubeugen, wurden unterschiedliche Formate ins Leben gerufen, wie beispielsweise der „Finanzführerschein“, bei dem jungen Menschen der Umgang mit Geld in leicht verständlicher Sprache zugänglich gemacht wird. Ziel ist eine basale Ausbildung im Bereich Finanzen mit Fokus auf finanziellen Alltagsentscheidungen.
Weitere Investitionen in Öffentlichkeitsauftritt
Derzeit wird von den Schuldenberatungen an der Bündelung der Arbeit in den Bundesländern unter der neuen, gemeinsamen Marke „Finanzbildung Österreich“ gearbeitet. Diese soll das Vertrauen der Bevölkerung stärken und es künftig erleichtern, Angebote der Schuldenberatungen von anderen (profitorientierten) Akteur:innen trennschärfer unterscheiden zu können. Dabei wurde an einem benutzer:innenfreundlichen Webportal (www.finanzbildungsportal.at) als einem weiteren Etappenziel gearbeitet. Auf dem seit Anfang Oktober online verfügbaren Portal sind die Finanzbildungsangebote der Schuldenberatungen gesammelt abrufbar. Zudem wird Wissen zu verschiedenen Themen in einfach verständlicher Sprache vermittelt. Die dafür notwendigen Ressourcen konnten auch aus einem Teil der OeNB-Basisfinanzierung realisiert werden. Auch das oben erwähnte Erfolgsmodell „Finanzführerschein“ konnte damit in einem weiteren Bundesland ausgerollt werden.
Weiters ist geplant, das bekannte Format „Referenzbudgets“ durch neue Daten zu aktualisieren und weiter auszubauen. Die Referenzbudgets sind ein wesentliches Tool in der Finanzbildungs- und Budgetberatungsarbeit der Schuldenberatungen, um Menschen zu vermitteln, was „das Leben in Österreich tatsächlich kostet“. Zudem wird großes Augenmerk auf die Vernetzung der Schuldenberatungsstellen im Bereich der Finanzbildung sowie auf die regelmäßige Fortbildung der Finanzbildungs-Mitarbeitenden gelegt.
2024 ist die Aufarbeitung von verschiedenen Geldinhalten in leicht verständlicher Sprache in Form von Erklärvideos geplant. Durch den Ausbau des Öffentlichkeitsauftritts im Bereich von Social Media (z. B. Instagram) sollen zudem junge Zielgruppen niederschwellig mit Finanzbildungs-Inhalten erreicht werden. Es soll bewusst eine Gegenbewegung zu „Finfluencern“ und Trends wie #KlarnaSchulden oder #GirlMath entstehen.
Langfristig plant die ASB Schuldnerberatungen GmbH im Jahr 2025 eine österreichweite Fachtagung der Schuldenberatungen zum Thema Finanzbildung.
[1] Die ASB Schuldnerberatungen GmbH koordiniert als Dachorganisation die gemeinsamen Interessen der zehn staatlich anerkannten Schuldenberatungen in Österreich.