Internationale Lieferschwierigkeiten kosten Österreichs Wirtschaft bisher eine drei viertel Milliarde Euro
(, Wien)Österreich zur Jahresmitte aber weniger stark betroffen als Deutschland
Im Zuge der COVID-19-Pandemie kam es seit Jahresbeginn zu einem sprunghaften Anstieg der globalen Nachfrage bei gleichzeitigen Veränderungen der Nachfragestruktur. Dies führte weltweit zu Lieferverzögerungen, Materialknappheiten und Preissteigerungen von bestimmten Rohstoffen und Zwischenprodukten. In der Folge können in der heimischen Industrie aktuell bestehende Aufträge trotz vorhandener freier Kapazitäten nicht im gewünschten Ausmaß abgearbeitet werden. Laut Schätzung der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) dämpfen diese Effekte die österreichische Wirtschaftsleistung im zweiten und dritten Quartal 2021 um rund eine drei viertel Milliarde Euro. Deutschland ist von den aktuellen Materialengpässen mehr als doppelt so stark betroffen wie Österreich. Die Schwierigkeiten werden bis ins Jahr 2022 andauern, danach ist mit Aufholeffekten zu rechnen.
Folgen der COVID-19-Pandemie führen zu weltweiten Lieferschwierigkeiten
Meldungen über Lieferkettenstörungen, Materialengpässe sowie steigende Rohstoff- und Transportpreise nahmen in den letzten Wochen prominente Plätze in den Wirtschaftsnachrichten ein. Die Ursachen dieser Phänomene sind mannigfaltig und reichen von (1) Einzelereignissen wie die sechstägige Blockade des Suezkanals, Hafen- und Produktionsstillegungen aufgrund von Infektionen und witterungsbedingten Produktionsausfällen, (2) einem starken Nachfrageanstieg nach Ende der zweiten COVID-19-Infektionswelle (insbesondere eine starke Nachfrage nach einzelnen Rohstoffen, wie Holz und Elektronikartikel, v. a. Halbleiter und Chips) und (3) einer geografischen Fehlallokation von Containern, die zu einem Anstieg der Kosten für einen 12-Meter-Container von unter 2.000 USD im Sommer 2020 auf über 10.000 USD im September 2021 geführt haben, bis hin zu (4) einem möglicherweise neu aufkommenden Superzyklus von im Zuge der Klimawende benötigten Rohstoffen wie Kupfer und Stahl für den Bau neuer Infrastruktur oder Aluminium, Nickel, Lithium und Kobalt zur Produktion von Elektrofahrzeugen. Während für Deutschland zuletzt eine Vielzahl an Abschätzungen der Auswirkungen veröffentlicht wurden, lagen vergleichbare Schätzungen für Österreich bislang nicht vor.
Lieferengpässe dämpften österreichische Wirtschaftsleistung bislang um eine drei viertel Milliarde Euro
Die OeNB hat die Auswirkungen der Lieferschwierigkeiten und Angebotsverknappungen auf das Wirtschaftswachstum mit zwei Modellen geschätzt. Das erste Modell basiert auf dem Zusammenhang zwischen Auftragseingängen und Industrieproduktion, die sich in den letzten Monaten deutlich auseinanderentwickelt haben. Das zweite Modell verwendet Informationen aus Unternehmensumfragen zu Materialknappheiten in der Sachgüterindustrie, die zuletzt markant angestiegen sind.
Für Österreich zeigen die Berechnungen, dass die Wirtschaftsleistung aufgrund der Lieferengpässe im zweiten Quartal 2021 um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte und im dritten Quartal um 0,2 Prozentpunkte gedämpft worden ist. Absolut betrachtet summiert sich der Verlust im zweiten und dritten Quartal auf rund eine drei viertel Milliarde Euro.
Effekte in Deutschland doppelt so stark wie in Österreich
Den Schätzungen zufolge sind die Auswirkungen der Materialengpässe in Deutschland rund doppelt so stark wie jene in Österreich. Dies erklärt sich durch unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb der Industrie – primär die höhere Relevanz der Automobilbranche in Deutschland, die besonders unter Engpässen bei Halbleitern leidet – und durch die unterschiedliche Position der deutschen und österreichischen Industrie innerhalb globaler Lieferketten. Während die österreichischen Unternehmen in der Automobilbranche als Zulieferer agieren, werden in Deutschland die Autos endgefertigt. Kleinere Lieferausfälle und Verzögerungen in frühen Stufen der Produktionskette entfalten oft starke Effekte an deren Ende. Darüber hinaus könnten die stärkeren Effekte in Deutschland zum Teil auch durch den in Deutschland stärker ausgeprägten Fachkräftemangel bedingt sein.
Ausblick für das Jahr 2021
Wie der wöchentliche BIP-Indikator der OeNB von Anfang September zeigt, schwankte das BIP im August um das Vorkrisenniveau und entwickelte sich somit wie von der OeNB vor Sommerbeginn erwartet. Somit bleibt die Konjunkturprognose der OeNB für 2021 aufrecht. Trotz der dämpfenden Effekte der Lieferengpässe erwartet die OeNB eine Zunahme der Wirtschaftsleistung Österreichs von rund 4 % im Vergleich zum Vorjahr. Sollten die weltweiten Lieferschwierigkeiten nicht wie erwartet ab dem vierten Quartal 2021 abnehmen, würde dies eine – wenn auch nur geringe – Abwärtsrevision der Prognose für das Jahr 2021 zur Folge haben.