Dr. Tobias Möllmer, M. A.
Tobias Möllmer (Universität Innsbruck) leitet das vom Jubiläumsfonds der OeNB unterstützte Forschungsprojekt „Die Bauten der OeNB/OeUB 1816–1938 als transnationales Erbe im europäischen Kontext”.
Ihr Forschungsprojekt hat einen doppelten Bezug zur Oesterreichischen Nationalbank (OeNB). Zum einen sind die (historischen) Bauten der Bank Forschungsgegenstand und zum anderen wird die Arbeit auch mit Mitteln des Jubiläumsfonds der OeNB finanziert. Vor- oder Nachteil?
Tobias Möllmer: Durch diesen Doppelbezug erhoffe ich große Vorteile: Es ist für mich und das Archiv für Bau.Kunst.Geschichte an der Universität Innsbruck sehr erfreulich, dass die OeNB der Aufarbeitung ihrer Geschichte so viel Interesse entgegenbringt und die unabhängigen Fachgutachterinnen und Fachgutachter des Jubiläumsfonds nun unser Projekt als förderwürdig angenommen haben. Als Architekturhistoriker ist es für mich von großem Reiz, dieses Thema an einer auf Architekturgeschichte fokussierten Forschungseinrichtung zu bearbeiten und dabei gleichzeitig einen direkten Draht zu der Institution zu haben, die Gegenstand der Forschung ist – was beispielsweise bei der Einsicht in die Archive sehr nützlich sein kann. Außerdem gehe ich davon aus, dass die Forschungsergebnisse nicht allein in einer wissenschaftlichen Publikation publiziert, sondern von der beforschten Institution wahrgenommen und verbreitet werden. Natürlich sehe ich mich bei einem so ausgesprochen hauseigenen Thema aber auch einem gewissen Erfolgsdruck ausgesetzt, dem ich mich jedoch als Motivation gerne stelle!
Die 1816 gegründete „privilegirte oesterreichische National-Bank“ war zunächst im sogenannten Stadtbanco-Gebäude in Wien untergebracht. 1818 gab es die ersten Bankfilialkassen und schon 1819 wurde mit dem Bau eines eigenen Nationalbank-Gebäudes begonnen. Was prägte die darauffolgende rege Bautätigkeit einer Notenbank in der k. u. k Monarchie mit zwei Hauptanstalten und bis zu 104 Filialen und 179 Nebenstellen?
Tobias Möllmer: Der auch notenbankgeschichtliche Dualismus zwischen Österreich und Ungarn hat die Bautätigkeit der OeUB ab 1878 maßgeblich geprägt. Die Bauten wurden hauptsächlich von den beiden cis- und transleithanischen Hauptsitzen Wien und Budapest aus geplant, die Entscheidung zur Errichtung neuer Filialen aber wurde in der Generalversammlung gemeinsam getroffen. Oft haben Anzahl und Gestalt der Bankgebäude daher mehr politische Ursachen als notenbankrelevante Erwägungen, da sich insbesondere in den letzten Jahrzehnten die Vertreter Böhmens und der ungarischen Reichshälfte beim Bau neuer Filialen durchsetzten. Das hat die Bautägigkeit der OeUB damals wesentlich beflügelt und maßgeblich zu diesem großen baulichen Reichtum geführt. Spannend ist aber auch die Bautätigkeit der nunmehr zur Oesterreichischen Nationalbank reduzierten Institution, deren verkleinertes Geschäftsgebiet mit einer Reihe neuer Filialen überzogen wurde, die einen ganz anderen, im Vergleich zu den früheren Bankpalästen eher villenartigen Charakter aufweisen.
Was sind die zentralen Forschungsthemen in Ihrem Projekt?
Tobias Möllmer: Zuerst einmal stellt sich die Frage: Wie sieht das bauliche Erbe der OeNB/OeUB in all seiner Vielseitigkeit aus? Um den Reichtum der Bauten zu dokumentieren, sollen sämtliche Bankhäuser katalogisiert werden. Welche Filialen wurden in bereits bestehenden Gebäuden eingerichtet, welche neu erbaut? Wer waren die Auftraggeber in der Notenbank, wer waren die Architekten und welche personellen Netzwerke verbanden sie? Welcher Stil wurde wann gewählt, wie drückt das Noteninstitut seine Liquidität und Seriosität in Architektur aus? Die Bauten sollen zu Reihen zusammengefasst und einzelne herausragende Vertreter exemplarisch behandelt werden.
Zweitens sollen die baulichen Zeugnisse der OeNB/OeUB in einen größeren Zusammenhang gestellt und als transnationales Erbe und verbindendes Element zahlreicher europäischer Staaten dargestellt werden. Mein Ziel ist es daher auch, einen Dialog zwischen Forscherinnen und Forschern aus den Nachfolgestaaten der k. u. k. Monarchie über das gemeinsame bauliche Erbe anzustoßen, um damit seine Valorisierung als „Shared Heritage“ zu sichern. Außerdem möchte ich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Kontakt treten, die zur Bautätigkeit anderer Nationalbanken geforscht haben und mit ihrer Hilfe die Architekturgeschichte der OeNB in den europäischen Kontext über die k. u. k. Monarchie hinaus einordnen.
Drittens – und das ist vor allem auch für die OeNB von großem Interesse – kann die Geschichte dieser Institution aus der Sicht ihrer Bautätigkeit geschrieben werden: Der Charakter und die Zahl der Bankgebäude spiegeln die bis 1918 stetig zunehmende Finanzkraft und den immer größeren Einfluss der Notenbank sowie die wachsende Bedeutung der Filialen wider. Deren geografische Lage erlaubt Rückschlüsse, in welchen Regionen sich das Finanzinstitut vornehmlich engagieren wollte. Nach 1918 gibt sich die Oesterreichische Nationalbank einen ganz anderen baulichen Charakter, der stellvertretend für ihre Restrukturierung und Modernisierung steht. Das alles soll architekturhistorisch analysiert und nach Möglichkeit wirtschaftshistorisch eingeordnet werden.
Der „Nationalbank-Bau“ wird wohl nicht ohne Einbeziehung wirtschaftshistorischer bzw. wirtschaftspolitischer Aspekte untersucht werden können. Gibt es dazu eine Arbeitshypothese?
Tobias Möllmer: Es ist vorauszusetzen, dass der Ausbau des Filialnetzes Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Entwicklung der Donaumonarchie und später des österreichischen Staats erlaubt. Die Filialbauten sind wie ein Kompass, der anzeigt, in welche Richtung die Wirtschaftspolitik gerade zielte: Kurz nach der Gründung der OeNB 1818 wurden Banksitze in den großen Städten Böhmens, Ostösterreichs und des Küstenlandes eingerichtet – Teil eines Versuchs, diese Regionen zu einem mitteleuropäischen Wirtschaftszentrum auszubauen, während in den wirtschaftlich unterentwickelten Regionen wie Westösterreich und Ungarn kaum Filialen entstanden. Danach sollte durch die Gründung von Bankfilialen das Wachstum verschiedener Wirtschaftsräume wie Nordböhmen, Schlesien und Mähren, die Karpatenländer, Niederösterreich, Teile Oberösterreichs und der Steiermark sowie Vorarlberg gezielt gefördert werden. Erst mit der Gründung der Österreichisch-Ungarischen Bank 1878 und der Einrichtung von Bankbezirken verlor sich diese an wirtschaftlichen Zentren orientierte Politik. Darauf folgte wiederum der vom Budapester Hauptsitz eingeforderte starke Ausbau des Filialnetzes der ungarischen Reichshälfte. Über den tatsächlichen Erfolg dieser Maßnahmen muss jedoch eine Wirtschaftshistorikerin oder ein Wirtschaftshistoriker urteilen.
Sie selbst sind Architekturhistoriker mit Schwerpunkt auf das späte 19. und beginnende 20. Jahrhundert. Was fasziniert Sie am Thema des Projekts und wo sehen Sie einen Anknüpfungspunkt für die Allgemeinheit?
Tobias Möllmer: Mich fasziniert vor allem die Vielseitigkeit der nach 1878 entstandenen, über ein riesengroßes Gebiet verteilten Bauten, die im Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert und aus der Feder von so vielen verschiedenen Architekten eine solch große Bandbreite unterschiedlicher Stile und immer wieder neuartige Grundrisslösungen zeigen. Die Filialen sind echte Hingucker in ihrer Umgebung und in so mancher Kleinstadt das prachtvollste Gebäude am Platze. Ich sehe es als wichtige Aufgabe, auf die qualitätsvolle Bau-Kunst dieses länderübergreifenden Kulturerbes aufmerksam zu machen. Für geschichtsinteressierte Bürgerinnen und Bürger ist das bisher kaum bearbeitete Thema sicherlich bereichernd, zumal die Bauten, die häufig noch ihrem Zweck als Finanzinstitut dienen, zwar für alle ersichtlich im Stadtraum stehen, aber trotz ihrer Attraktivität kaum einmal von der Bauforschung fokussiert worden sind. Abgesehen davon, dass damit der Architekturgeschichte Österreich-Ungarns ein kleiner Baustein hinzugefügt wird, sehe ich für die ehemaligen Kronländer und die ungarische Reichshälfte das Potenzial, durch die Rekonstruktion dieser transnationalen Baugeschichte an das Verbindende der Staaten Zentral- und Osteuropas zu erinnern.
Wird es für Interessierte vor Projektabschluss auch Gelegenheit geben, Einblick in Ihre Arbeit zu bekommen, etwa auf Tagungen oder in Fachzeitschriften?
Tobias Möllmer: Bei einem öffentlichen Studientag im Spätjahr 2024, zu dem europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingeladen werden, soll ein erster Überblick der laufenden Forschungen gegeben werden. Darüber hinaus ist geplant, das Forschungsprojekt auf internationalen Tagungen zu platzieren und so allgemein bekannt zu machen. Ein besonderes Anliegen ist es mir aber auch, regelmäßig über meine Fortschritte zu berichten und dieses interessante Thema allen Interessierten ohne spezielle Vorbildung leicht verständlich zugänglich zu machen.
Ein Arbeitsvorhaben wie das Ihre wird einiges an Zeit und Ressourcen benötigen. Können Sie – in groben Zügen – etwas zu den Eckpunkten des Projektplans sagen?
Tobias Möllmer: Nachdem ich der Geschichte der OeNB unter besonderer Berücksichtigung ihrer Filialgründungen nachgegangen bin und mir einen Überblick über die Bauten verschafft habe, schließen sich umfangreiche Archivrecherchen an, vor allem im Bankhistorischen Archiv der OeNB, aber auch in anderen Sammlungen. Bei mehreren Arbeitsreisen im zweiten Projektjahr werde ich eine repräsentative Auswahl von Bauten besichtigen, fotografieren und nach Möglichkeit die örtlichen Bauakten einsehen. Unterstützung bekomme ich durch Architekturstudierende, die von einzelnen Gebäuden Bauaufnahmen anfertigen sollen. Auf diese Studienfahrten im zweiten Jahr des Forschungsprojekts, bei denen ich einen Großteil des ehemaligen Staatsgebiets der k. u. k. Monarchie durchfahren werde, bin ich natürlich schon sehr gespannt. Danach geht es an den Ausbau der Datenbank, die Auswertung der Forschungsergebnisse und die Veröffentlichung einer nicht allein wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden, sondern – hoffentlich – auch repräsentativen Publikation, die die in einem Zeitraum von drei Jahren intensiv erforschte Bautätigkeit der OeNB/OeUB in ihrem europäischen Kontext einem breiteren Publikum auf anschauliche Weise vor Augen führt.
Danke für das Gespräch. Wir wünschen gutes Gelingen und sehen gespannt dem Arbeitsfortschritt entgegen.