Mag. Dr. Tobias Boos, BA
Tobias Boos (Universität Wien) leitet das vom Jubiläumsfonds der OeNB unterstützte Forschungsprojekt „The Cultural Political Economy of Bitcoin in the Global South. Social Structure, use-practices and imaginaries of the Bitcoin Adaption in El Salvador (BITELSA)”.
Worum geht es in Ihrem Projekt?
Wir untersuchen in unserem Projekt die Implementierung des Bitcoins „The Cultural Political Economy of Bitcoin in the Global South. Social Structure, use-practices and imaginaries of the Bitcoin Adaption in El Salvador (BITELSA)”. El Salvador hat 2021 ziemlich ‚aus dem Nichts‘ heraus den Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel neben dem Dollar eingeführt. In BITELSA schauen wir uns an, welche ökonomischen, sozialen und politischen Ursachen und Folgen diese Politik hat. Der Fall El Salvador ist deshalb extrem interessant, weil es das einzige Land auf der Welt ist, das diesen Schritt gegangen ist. Deshalb analysieren wir die Kontextbedingungen, ob und von wem Bitcoin genutzt wird und wie die Implementierung grundsätzlich zur Wirtschafts- und Entwicklungsstrategie des Landes passt. Gleichzeitig wirft der Fall allgemeinere Fragen für die Forschung rund um die Themen Krypto-Assets, DeFi und digital finance speziell im Globalen Süden auf. Wir hoffen, dass wir mit dem Projekt hier allgemeinere Erkenntnisse zur Forschung rund um diese Themen beisteuern können.
Was wurde mit den Mitteln aus dem OeNB-Jubiläumsfonds finanziert?
In dem Projekt arbeiten neben mir noch ein Doktorand und für einige Monate mein Kollege Juan Grigera. Deren Stellen wurden durch den Jubiläumsfond ermöglicht. Auch noch wichtig sind zwei Feldforschungsphasen in El Salvador, die über die Mittel finanziert werden.
Womit beschäftigen Sie sich im Rahmen Ihres Projektes?
Als case-study ist El Salvador natürlich alleine schon extrem interessant. Ziel des Projekts ist es aber auch, den Impact dieser weltweit einmaligen Politiken in einem breiten Kontext der Internationalen Politischen Ökonomie zu diskutieren, das heißt, die Ereignisse vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen auf den globalen Finanzmärkten, entwicklungspolitischen Paradigmen und Nord-Süd-Ungleichzeiten zu analysieren.
Was fasziniert Sie an diesem Thema?
Sogenannte Kryptowährungen sind für mich als Forscher schon alleine deshalb interessant, weil sich bei dem Thema unterschiedliche Disziplinen kreuzen. Ich selbst bin Politikwissenschaftler, habe aber einen Hintergrund in development studies und im Laufe meiner akademischen Karriere an verschiedensten Instituten international gearbeitet und geforscht. In dem Thema vereinen sich viele meiner bisherigen Forschungsstränge. In der Vergangenheit habe ich mich eben stark mit dem Themen Sozialstrukturen und Populismus in Lateinamerika aus politökonomischer Perspektive beschäftigt. Diese Stränge greifen wir im Projekt jetzt wieder auf.
Mit wem arbeiten Sie an diesem Projekt?
Neben mir gibt es noch einen Doktoranten im Projekt, und Juan Grigera vom King´s College London wird 2024 für einige Monate im Projekt arbeiten. Außerdem hatten wir bereits eine Kollegin aus Georgien (Dr.in Ia Eradze), die zu ähnlichen Themen forscht, als Research Fellow hier am Institut zu Gast und kooperieren im Kontext der Circle-U Initiative mit KollegInnen von der Humboldt Universität in Berlin. Diese Formen der Kooperation sind für uns sehr produktiv, da sich das Forschungsfeld extrem schnell entwickelt. Deshalb wollen wir auch im weiteren Verlauf des Projekts solche Kooperationen vorantreiben.
Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen?
Wir sind im Juni 2023 gestartet. Seitdem haben wir uns mit dem Kontext der Implementierung des Bitcoin-Gesetzes auseinandergesetzt und unterschiedliche Erklärungsansätze für die Gründe der Einführung mit empirischen Daten abgeglichen. Dabei zeigt sich, dass sich Versprechungen, wie beispielweise eine verbesserte financial inclusion von ärmeren Bevölkerungsteilen oder günstigere Rücküberweisungskosten, bisher nicht erfüllt haben. Gleiches gilt für die ‚Beliebtheitshypothese‘: Oft wurde die doch überraschende Einführung des Bitcoins damit erklärt, dass der amtierende Präsident mit der Einführung seine Beliebtheit steigert. Interessanterweise zeigt sich, dass seine Bitcoin-Politik zumindest im Land selbst sehr unbeliebt ist. Insgesamt müssen wir aber noch vorsichtig sein in Bezug auf endgültige Ergebnisse. Ein Problem, mit dem wir im Projekt konfrontiert sind, ist die mangelnde Transparenz von Regierungsseite. Wen die ersten Befunde im Detail interessieren, kann das in einem Working Paper („The political economy of Bitcoin as legal tender in El Salvador. Temporary bandages to permanent wounds?“) nachlesen, welches Juan Grigera und ich gemeinsam verfasst haben. Es wurde vor einigen Wochen in der UNU-WIDER Working Paper Series veröffentlicht:
https://www.wider.unu.edu/publication/political-economy-bitcoin-legal-tender-el-salvador.
Was ist am Projekt – aus Ihrer Sicht – relevant für die Allgemeinheit?
Wir beobachten seit einigen Jahr eine Entwicklung, die wir im Projekt als „Krypto Roll-Out in den Globalen Süden“ bezeichnen. Damit ist gemeint, dass Krypto-Projekte oder -Unternehmen in Ländern des Globalen Südens Geschäftsmodell, Finanzdienstleistungen oder Technologien ausprobieren. Das betrifft nicht nur die Krypto-Industrie, sondern allgemeiner den Sektor von digital finance. Oft ist dabei unklar, welche Folgen diese Experimente vor Ort und vor allem für vulnerable Bevölkerungsgruppen haben. Letzteres gilt nicht nur für den Globalen Süden, sondern auch für hier. Deshalb ist es wichtig, diese Entwicklungen wissenschaftlich zu begleiten und zu analysieren.
Wie geht es mit Ihrem Projekt weiter?
In den kommenden Monaten werden wir uns erstens das Verhältnis zwischen der Einführung des Bitcoins, dem Finanzsektor und dem vorherrschenden Entwicklungsmodell in El Salvador im Detail anschauen. Ebenso werden wir Daten zu den NutzerInnen erheben. Hier steht im kommenden Jahr die Forschung vor Ort an, was besonders interessant ist, weil in El Salvador im Februar 2024 gewählt wird. Gleichzeitig arbeiten wir gerade an zwei Publikationen und hoffen, dass demnächst unsere eigene Homepage online geht, auf der wir genauer über den Fortgang des Projekts informieren.