Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen

Zweck des Instruments

Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen tragen zur Wahrung der Finanzmarktstabilität bei. Sie adressieren den Aufbau systemischer Risiken aus der Kreditvergabe zur Wohnimmobilienfinanzierung an Haushalte oder Unternehmen, indem sie eine langfristig nachhaltige Kreditvergabe sicherstellen. Da sie bisher vorwiegend für Haushalte verwendet werden, fokussiert sich diese Beschreibung im Folgenden auf Haushalte.

Als nicht nachhaltig werden Wohnimmobilienkredite an Haushalte mit geringem Anteil an Eigenmitteln (relativ zur Kredithöhe), hohen monatlichen Rückzahlungen (relativ zum Einkommen) oder sehr langer Laufzeit bezeichnet. Sie sind in Krisen besonders anfällig für Ausfälle. Banken werden durch eine Anhäufung dieser Ausfälle erheblich belastet und gehen im schlimmsten Fall insolvent. Geschieht dies systematisch, ist das einwandfreie Funktionieren des österreichischen Finanzsystems gefährdet. Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen adressieren sich aufbauende Systemrisiken frühzeitig.

Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen setzen sich aus mehreren Instrumenten zusammen. Diese Instrumente geben Kreditvergabestandards vor, die bei Aufnahme eines Kredites von den Banken eingehalten werden (§23h Bankwesengesetz (BWG)). Dennoch haben die Banken – wegen der im internationalen Vergleich großzügigen Ausnahmekontingente – großen Spielraum und konnte im 2. Halbjahr 2023 bis rund 1/3 der Neukredite auch mit nichthaltigen Vergabestandards gewähren. Die verfügbaren Instrumente sind wie folgt definiert:

  • Schuldendienstquote (DSTI): Quotient aus der Summe der Zins- und Tilgungsleistungen aus der Bedienung aller Kreditverbindlichkeiten des Kreditnehmenden und des Einkommens in einem bestimmten Zeitraum.
  • Laufzeit (LZ).
  • Beleihungsquote (BELQ): Quotient aus der Summe der Kreditverbindlichkeiten eines Kreditnehmenden aus Fremdkapitalfinanzierungen von Immobilien und der Summe der Marktwerte der als Sicherheit dienenden Immobilien, abzüglich Vorlasten und zuzüglich sonstiger Sicherheiten. Die BELQ wirkt sich auf den Anteil an den Kosten aus, den Kreditnehmende selbst finanzieren müssen. Neben den Kosten für die Immobilie muss der Kreditnehmende auch Nebenkosten, wie Grundbucheintragung oder Notariatskosten, bezahlen. Diese werden in der BELQ nicht abgebildet.  
  • Schuldenquote (DTI): Quotient aus der Summe aller aushaftenden Kreditverbindlichkeiten eines Kreditnehmenden und dem Einkommen in einem bestimmten Zeitraum.
  • Amortisationsanforderung: Zeitraum, in welchem ein festzulegender Anteil des Gesamtvolumens des Kredits spätestens zurückgezahlt sein muss.

Die Instrumente können mittels unterschiedlicher sachlicher und örtlicher Anwendung, unterschiedlichen Limits, sowie Ausnahmekontingenten (d.h. ein Anteil des Neugeschäfts wird ausgenommen) angepasst werden. Dieser Gestaltungsspielraum ermöglicht eine zielgerichtete Anwendung der Maßnahmen.

Stellt das Finanzmarktstabilitätsgremium (FMSG) Veränderungen in der Ausprägung systemischer Risiken in der Wohnimmobilienfinanzierung fest, empfiehlt es der Finanzmarktaufsicht (FMA), kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen einzuführen. Kommt die FMA der Empfehlung des FMSG nicht nach, muss sie dies begründen (§23h (1) BWG). Bei einer FMSG-Empfehlung hat die FMA eine gutachterliche Äußerung der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) zum Vorliegen systemischer Risiken einzuholen und mit Zustimmung des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) eine Verordnung zu erlassen (§ 23h (2) BWG). Derartige Maßnahmen gelten für bis zu 3 Jahre. Vor Ablauf müssen diese gemäß § 23h (6) BWG behördlich geprüft werden (u.a. Prüfung der Höhe der Systemrisiken, der Angemessenheit der Ausprägungen der Instrumente). Bei Anhalten der Systemrisiken können die Maßnahmen um jeweils bis zu zwei Jahre verlängert werden. Eine Verlängerung ist mit einer Empfehlung des FMSG, einem Gutachten der OeNB und der Zustimmung des BMF möglich.

Aktuelle Informationen über die Festsetzung der derzeitigen kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen (KIM-V) in Österreich sind auf der Internetseite des FMSG (Empfehlung 2022, Empfehlung 2023) sowie der FMA zu finden.

Eignung des Instruments zur Adressierung der Systemrisiken

Steigende systemische Risiken aus lockeren Kreditvergabestandards können über kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen zielgerichtet und direkt adressiert werden. Liegen erhöhte systemische Risiken in der Wohnimmobilienfinanzierung am gesamten Bankenmarkt vor, verhindert eine verordnungsmäßige Festschreibung von Mindeststandards für Wohnimmobilienkredite den (weiteren) Aufbau von systemischen Risiken und auf Seite der Haushalte eine zunehmende Verschuldung in Relation zu ihren Einkommen. Die wichtigsten Instrumente wirken wie folgt:

  • DSTI: Die Leistbarkeit des Schuldendienstes steht im Vordergrund. Hohe Schuldendienste können problematisch werden, wenn sich das Einkommen der Kreditnehmer:innen verändert, beispielsweise in einem wirtschaftlichen Abschwung sinkt oder wenn der Kreditnehmende arbeitslos wird. Variabel verzinste Kredite bergen außerdem das Risiko, dass die Zinszahlungen empfindlich ansteigen.1
  • LZ:  Eine komplementäre Laufzeitenobergrenze verhindert eine Umgehung des DSTI-Limits durch Ausweitung der Laufzeiten und damit einhergehender Senkung der DSTI.
  • BELQ: Die BELQ erhöht den der Bank zur Verlustabdeckung zur Verfügung stehenden Betrag, sollte die Bank die Sicherheit verwerten müssen. Dies kann den Verlust der Bank bei einem Kreditausfall reduzieren, indem die Bank einen Teil des ausstehenden Kreditbetrags durch den Zwangsverkauf der Immobilie decken kann.
  • DTI: Die DTI entspricht in ihrer Wirkungsweise einer Kombination aus DSTI und Laufzeit.
  • Amortisation: Amortisationsanforderungen können die Vergabe von sehr langfristigen Krediten mit wenig bis keiner Amortisationsleistung und den damit verbundenen Risiken einschränken (z. B. endfällige Kredite).

Alternative makroprudenzielle Instrumente verfolgen andere Ziele als die Adressierung von erhöhten Systemrisiken aus nicht nachhaltigen Kreditvergabestandards in der Neukreditvergabe. Grundsätzlich stünden auch kapitalbasierte Instrumente, wie zusätzliche sektorale Kapitalpufferanforderungen (z. B. nur auf private Wohnimmobilienkredite) oder eine Festlegung von Mindesthöhen für die Risikogewichtung für Wohnimmobilienkredite zur Verfügung. Sie sind allerdings eher angemessen, um die Resilienz des Bankensystems im Krisenfall zu stärken, da sie die Kreditvergabepraxis nicht direkt beeinflussen können.

Die rechtliche Verbindlichkeit der Kreditvergabestandards führt hingegen direkt zu einer nachhaltigen Neukreditvergabe und verhindert somit auch eine schleichende Verschlechterung des Kreditbestands. Kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen besitzen einen präventiven Charakter: Der Aufbau systemischer Risiken wird verhindert bzw. verringert, anstatt darauf zu vertrauen, dass die Resilienz des Bankensystems in Krisenfall ausreicht, um die systemischen Risiken aus einer nicht nachhaltigen Wohnimmobilienkreditvergabe zu tragen.

Nach Ablauf einer anfänglichen Zinsbindung betrifft dies auch Kredite, die anfangs mit vertraglich festgelegter Zinsbindungsfrist abgeschlossen wurden. Diese anfängliche Zinsbindung ist in der Regel kürzer als die Laufzeit.

Erforderlichkeit des Instruments

Die Erforderlichkeit von kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen und ihrer Alternativen müssen von der OeNB nachgewiesen und vom FMSG eingehend geprüft werden, bevor sie von der FMA aktiviert werden können. Wird eine Veränderung in der Ausprägung systemischer Risiken in der Wohnimmobilienfinanzierung mit möglichen negativen Auswirkungen auf die Finanzmarktstabilität festgestellt, ist eine Abwägung der verschiedenen aufsichtlichen Handlungsmöglichkeiten wesentlich. Makroprudenzielle Maßnahmen müssen (i) die vorliegenden Systemrisiken angemessen adressieren, (ii) zur effektiven Risikoreduktion beitragen sowie (iii) für die vorliegenden Systemrisiken das gelindeste Mittel sein. Im Rahmen dieser Überprüfung werden Kosten und Nutzen sämtlicher Handlungsalternativen gemäß den gesetzlichen Grundlagen (Bankwesengesetz, Nationalbankgesetz) abgewogen. Auch „Nicht-Handeln“ wird als Handlungsoption in Betracht gezogen.

Um kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen zu implementieren, muss ein nachvollziehbarer und umfassender Nachweis erbracht werden, dass die Maßnahmen zweckmäßig, erforderlich, geeignet und angemessen sind. Auf die negative Dynamik zwischen Immobilienpreissteigerungen, Leistbarkeitsproblemen und schlechter werdenden Kreditvergabestandards hat die OeNB bereits seit 2016 hingewiesen. In Österreich wurde daher bereits 2016 eine Empfehlung zu nachhaltigen Kreditvergabestandards kommuniziert. Die makroprudenziellen Institutionen haben wiederholt vor den sich aufbauenden Systemrisiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung sowie aus dem hohen Anteil der variabel verzinsten Kredite gewarnt. In der 17. Sitzung vom 27. September 2018 konkretisierte das FMSG seine Vorstellungen zur nachhaltigen Kreditvergabe und verschärfte die Empfehlung. Die Erforderlichkeit der Maßnahmen wurde auch international bestätigt: Der Europäische Rat für Systemrisiken (ESRB) hat Österreich am 11. Februar 2022 dazu aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um den Aufbau der systemischen Risiken aus den Wohnimmobilienfinanzierungen hintanzuhalten. Auch die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und der Internationale Währungsfonds (IMF) haben den Einsatz dieser Maßnahmen für Österreich befürwortet.

Nachdem die Leitlinien des FMSG nicht im notwendigen Ausmaß von den Banken eingehalten worden waren, empfahl das FMSG der FMA auf Basis einer umfangreichen Systemrisikoanalyse der OeNB, nachhaltige Kreditvergabestandards mittels einer Verordnung rechtlich bindend zu machen. Infolgedessen trat die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung (KIM-V) am 1. August 2022 in Kraft. Die Schuldendienstquote wurde auf 40% beschränkt, die Beleihungsquote auf 90% und die Laufzeit auf 35 Jahre. Die Ausnahmekontingente wurden differenziert ausgestaltet: für die Schuldendienstquote betrug das Ausnahmekontigent 10% der neuen Kredite, für die Laufzeit 5% und für die Beleihungsquote 20%. Insgesamt konnte jede Bank maximal 20% der Neukreditvergabe als Ausnahmen vergeben. Die Banken hatten zusätzliche Flexibilität bei der Wahl der Bemessungsgrundlage für die Ausnahmekontingente (aktuelle Periode oder Vorperiode). Außerdem gab es eine Geringfügigkeitsgrenze von 50.000€. Der Bundesminister für Finanzen hat der Verordnung der FMA zugestimmt (§23h (2) BWG). Mit 1. April 2023 kam die FMA einer FMSG-Empfehlung zur Änderung der KIM-V nach. Diese sah weitere Ausnahmen (Mindestausnahmekontingente für jede Bank, Adaptierung der Geringfügigkeitsgrenze, Zwischenfinanzierungen, Vorfinanzierungen von nicht-rückzahlbaren Zuschüssen von Gebietskörperschaften) vor. Am 12. März 2024 hat das FMSG empfohlen, die kennzahlspezifischen Ausnahmekontingente aufzuheben und nur das institutsbezogene Ausnahmekontingent von 20% der Neukreditvergabe beizubehalten (FMSG-Empfehlung).

Die Entwicklungen auf dem österreichischen Finanz- sowie Wohnimmobilienmarkt werden seit der Einführung der KIM-V am 1. August 2022 durch die OeNB sorgfältig verfolgt. Werden keine weiteren Systemrisiken aus der privaten Wohnimmobilienfinanzierung festgestellt, tritt die KIM-V mit Ablauf des 30. Juni 2025 außer Kraft (automatische „Auslaufklausel“).

Methodik der Systemrisikoanalyse

Die Notwendigkeit eines regulatorischen Eingriffs muss durch eine Systemrisikoanalyse der OeNB belegt werden. Diese beruht auf (1) einem umfassenden indikatorbasierten Ansatz, (2) einer modellbasierten Analyse sowie (3) auf der Einschätzung der makroprudenziellen Expert:innen der OeNB.

Die OeNB beobachtet die Entwicklungen im Bereich der Wohnimmobilienfinanzierungen auf Basis eines umfassenden indikatorbasierten Ansatzes laufend. Diese umfassende Betrachtung inkludiert die Entwicklungen am Markt für Wohnimmobilien und die Konditionen, zu denen Transaktionen durchgeführt werden (Segment „Preise“), die Betrachtung des Kundensegments der privaten Haushalte, deren Bonität und Schuldentragfähigkeit (Segment „Haushalte“), die Einhaltung nachhaltiger Vergabestandards und eine Beurteilung der Risikotragfähigkeit auf Seiten der Kreditinstitute (Segment „Banken“) sowie Einschätzungen zum rechtlichen und institutionellen Umfeld  im Bereich der privaten Wohnimmobilienfinanzierung in Österreich (Segment „institutionelles Umfeld“).

Vorausschauende Erkennung von Systemrisiken im Wohnimmobilienbereich

Da es in Österreich keine Immobilienkrise gab, bedarf es eines Simulationsmodells basierend auf internationalen Krisenerfahrungen, um die Effekte von nicht nachhaltigen Kreditvergabestandards auf Ausfallswahrscheinlichkeiten abzubilden. Dazu wird ein international verbreitetes Simulationsmodell (TUI-Modell) verwendet (Górnicka und Valderrama 2020).2 Das Modell ist anhand der Erfahrungen anderer Länder für die österreichische Wirtschaft kalibriert. Vor allem werden die Daten anderer Länder für den Zusammenhang zwischen sich verschlechternden Kreditvergabestandards und Ausfallswahrscheinlichkeiten verwendet. Damit schätzt das Modell die zukünftigen Ausfallswahrscheinlichkeiten von Wohnimmobilienkrediten bei sich weiter verschlechternden Kreditvergabestandards. Für die Entwicklung des Systemrisikos ist insbesondere die Wirkung nicht nachhaltiger Kreditvergabestandards bei Neukrediten relevant. Selbst bei einem nachhaltig vergebenen Bestand, birgt eine nicht nachhaltige Vergabe von Neukrediten hohe systemische Risiken, da der ausstehende Kreditbetrag am höchsten ist. Das Simulationsmodell erlaubt die Modellierung der Ausfallswahrscheinlichkeit von Gruppen von Neukrediten über die Zeit. Somit ist eine vorausschauende Systemrisikoanalyse möglich. Diese zeigt, wie sich Ausfallswahrscheinlichkeiten der Kreditnehmer:innen erhöhen, wenn Kredite nicht nachhaltig vergeben werden und keine aufsichtlichen Maßnahmen getroffen werden („Nicht-Handeln“). Zudem erlaubt das Modell die Simulation von Maßnahmen, um den weiteren Aufbau von Systemrisiken hintanzuhalten.

Die Ergebnisse des Simulationsmodells werden mit einem Banken-Stresstest der OeNB kombiniert (Feldkircher et al. 2013).3 Dieser integrative Ansatz aus immobilienspezifischen (aus dem TUI-Modell) und gesamtwirtschaftlichen Stressszenarien (aus den OeNB-Stresstests) erlaubt es, die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen makroökonomischen Variablen und dem Bankensystem möglichst umfassend und kohärent abzubilden. Damit gelingt es, die Auswirkungen sich verschlechternder Kreditvergabestandards auf die zukünftige Stabilität des Bankensystems zu quantifizieren.

Die Analyse bildet die komplexen Zusammenhänge zwischen großen Datenmengen zu Wohnimmobilienkrediten, zum Wohnimmobilienmarkt, zum makroökonomischen und institutionellen Umfeld sowie zu den Banken nachvollziehbar und konsistent ab. Ein alleiniger Fokus auf einzelne Komponenten – zum Beispiel das Kreditwachstum – hingegen würde zu kurz greifen. Dies ließe die Änderungen anderer Variablen (z.B. Hauspreise, Kreditvergabestandards, Kreditqualität des Bestands, Kapitalisierung der Banken, Risikogewichte) sowie ihre Wechselwirkungen außer Acht. Die Ergebnisse wären inkonsistent. 

Letztlich müssen die Expert:innen der OeNB die indikator- und modellbasierten Ergebnisse mit ihrer Einschätzung des Systemrisikos ergänzen. Die Analyse liefert Ausfallswahrscheinlichkeiten und ihre systemweiten Effekte auf Banken unter plausiblen Krisenszenarien. Die Entscheidung über makroprudenzielle Maßnahme darf jedoch nicht nur auf Basis quantitativer Modelle erfolgen. Sie ist schlussendlich davon abhängig, wieviel Systemrisiko die Entscheidungsträger:innen zu akzeptieren bereit sind, d.h. von ihrer Systemrisikotoleranz. Je größer ihre Systemrisikotoleranz, desto geringer ist ihre Bereitschaft, Maßnahmen zu ergreifen, um erhöhte Systemrisiken zu adressieren.

Zusätzlich zur Systemrisikoanalyse der OeNB führen internationale Organisationen, wie ESRB, OECD oder IMF (z.B. im Rahmen der jährlichen Art. IV Konsultationen oder des Financial Sector Assessment Programs) regelmäßige Einschätzungen und Evaluierungen des österreichischen Finanzmarktes durch. Unter anderem werden hier die Systemrisiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung gewürdigt und Empfehlungen dazu ausgesprochen.4
 

Weitere Länder, für die das TUI-Modell angewendet wurde, sind die Slowakei (Spector, M., und Valderrama, L. 2021. The Slovak Republic: Selected Issues. IWF, Country Report No. 2021/134.), Litauen (Dirma, M., und Karmelavicius, J. 2023. Micro-Assessment of Macroprudential Borrower-Based Measures in Lithuania. IWF, Working Paper No. 2023/227.) und die Schweiz (Maslova, S. et al.  2022. Switzerland: Selected Issues. IWF, Country Report No. 2022/172.).

Feldkircher, M. et al. 2013. ARNIE in Action: The 2013 FSAP Stress Tests for the Austrian Banking System. Financial Stability Report 26.

4 Siehe: ESRB. 2021. Recommendation of the European Systemic Risk Board of 2 December 2021 on medium-term vulnerabilities in the residential real estate sector in Austria (ESRB/2021/11). Official Journal of the European Union, C 122/9.
ESRB. 2024. Follow-up report on vulnerabilities in the residential real estate sectors of the EEA countries.
IWF. 2021. IMF Article IV Consultation Austria, 2021. IWF, Country Report No. 2021/203.
IWF. 2024. Austria: Concluding Statement of the 2024 Article IV Mission.
OECD. 2021. OECD Economic Surveys Austria, 2021.   
Verfassungsgerichtshof. 2023. Beschluss. V 329/2023-40.

Angemessene Kalibrierung der kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen

Makroprudenzielle Maßnahmen können einzeln und auch in Kombination geeignet sein, um den Aufbau systemischer Risiken in der Wohnimmobilienfinanzierung zu verhindern. Die Kalibrierung der nachhaltigen Kreditvergabestandards erfolgt auf Basis des TUI-Modells. Dabei werden die Effekte unterschiedlicher Kombinationen aus Schuldendienstquote, Beleihungsquote, Laufzeit, Amortisation, Schuldenquote und Ausnahmekontingenten auf die Ausfallswahrscheinlichkeiten in Krisenszenarien simuliert. Folgende Kalibrierungen haben sich herauskristallisiert:

  • DSTI: Die DSTI wirkt in der ersten Stufe des Kreditausfallprozesses, indem sie die Wahrscheinlichkeit reduziert, dass ein Kreditnehmender die Immobilie verkaufen muss. Je niedriger die DSTI, desto resilienter ist der Kreditnehmende bei adversen makroökonomischen Bedingungen und desto geringer ist seine:ihre Ausfallswahrscheinlichkeit („first line of defense“). Maßnahmen mit konservativer Obergrenze (DSTI in Höhe von 30%) sind dabei auch im Falle von der Gewährung einzelner Ausnahmen immer effektiver in der Risikoreduktion als Maßnahmen mit DSTI-Limit in Höhe von 40%.
  • LZ: Eine Laufzeitobergrenze wirkt komplementär zur DSTI-Obergrenze, indem sie verhindert, dass eine nachhaltige DSTI durch Laufzeitstreckung erreicht wird. Die Festlegung der Laufzeit auf 35 Jahre dient dazu, dass überlange Kredite weiterhin die Ausnahme bleiben.
  • BELQ: Die BELQ zwingt Banken, Sicherheiten in das Grundbuch einzutragen. Darüber hinaus minimiert eine möglichst niedrige BELQ den Verlust der Banken bei Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmenden. Eine BELQ von 90% wurde im Rahmen der Kalibrierung festgelegt. Diese wirkt sich auf den Anteil an den Gesamtinvestitionskosten aus, den Kreditnehmende selbst finanziell beisteuern müssen. Eine Beleihungsquote von 90% bedeutet allerdings nicht effektiv, dass Kreditnehmende nur 10% Eigenmittel benötigen. Durch weitere Nebenkosten, wie Notariatskosten oder Eintragung ins Grundbuch, ist ein Eigenfinanzierungsanteil von ca. 20% realistisch.
  • DTI: Gegeben eines bestimmten Zinsniveaus, ist eine Regulierung der Schuldenquote nicht notwendig, wenn eine Kombination aus Schuldendienstquote und Laufzeit angewandt wird. Die risikomitigierende Wirkung der Schuldenquote kann durch eine Kombination aus DSTI und LZ dargestellt werden. Die DSTI ist näher an der gängigen Vergabepraxis von Banken und nachvollziehbarer als die DTI. Daher wurde bei der KIM-V die Kombination aus DSTI und LZ gewählt.
  • Amortisation: Werden Umgehungsmöglichkeiten durch nicht vollständige Tilgungen am Laufzeitende durch eine entsprechende Berechnungsvorschrift adressiert, kann von Amortisationsanforderungen nach §23h Abs 2 Z5 BWG abgesehen werden. Dies ist im Rahmen der Berechnungsvorschriften der KIM-V erfolgt.

Die Effektivität der Instrumente erhöht sich zum Teil deutlich bei zeitgleicher Aktivierung aufgrund ihrer sich ergänzenden Wirkung. Dabei ist insbesondere die Kalibrierung der DSTI von Bedeutung, da diese in erster Linie den Ausfall von Kreditnehmenden verhindert. Die BELQ dient nachfolgend der Reduktion des Verlustes der Bank beim Verkauf der Sicherheit (in diesem Fall der Immobilie).

Ausnahmekontingente können ein geeigneter Weg sein, Kreditinstituten die Möglichkeit einzuräumen, in begründeten Einzelfällen positiv über die Kreditwürdigkeitsprüfung zu entscheiden, auch wenn Limits nicht eingehalten werden. Im internationalen Vergleich sind die Ausnahmekontingente der KIM-V großzügig ausgestaltet (FMSG-Empfehlung).

Auswirkungsabschätzung

Zur Auswirkungsabschätzung wird die Volkswirtschaft in verschiedenen Krisenszenarien mit und ohne kreditnehmer:innenbezogene Maßnahmen betrachtet. Dafür werden die Ergebnisse des TUI-Modells in Kombination mit den Banken-Stresstests der OeNB herangezogen.

Der soziale Nutzen der kreditnehmer:innenbezogenen Maßnahmen besteht darin, dass Immobilien- und Bankenkrisen vermieden werden. Selbst bei scheinbar niedrigen Ausfallswahrscheinlichkeiten können Bankenkrisen auftreten. Internationale Krisenerfahrungen zeigen, dass bereits Ausfallswahrscheinlichkeiten von 2-4% mit Immobilienkrisen verbunden sind. Ein wichtiger Aspekt für die Realwirtschaft sind hierbei die Refinanzierungskosten der Banken. Diese werden unter anderem von Ratingagenturen beeinflusst, welche auch makroprudenzielle Maßnahmen berücksichtigen. Aktuell ist das österreichische Bankensystem als eines von wenigen europäischen Ländern in der zweitbesten Ratingklasse (kein Land ist in der besten Ratingklasse) im weltweiten Ranking der Bankensysteme von Standard & Poor‘s.6 Unerwartet hohe Verluste aus Immobilienfinanzierungen in einer Wirtschaftskrise sind durch Bilanz- und Ratingverschlechterungen in der Regel mit deutlich höheren Refinanzierungskosten für Banken verbunden (Schmitz et al. 2019).7 Das bedeutet, dass Banken mehr für Kapital zahlen müssen. Diese höheren Kosten werden über die Neukreditvergabe an Kund:innen – sowohl auf Seite privater Haushalte als auch auf Unternehmensseite sowie an den Staat – weitergegeben. Die erhöhten Refinanzierungskosten können zudem dazu führen, dass bereits im Bestand befindliche Assets einen negativen Ergebnisbeitrag liefern und so das Eigenkapital der Banken weiter sinkt (Leika et al. 2019).8 Es besteht die Gefahr einer Abwärtsspirale aus steigenden Refinanzierungskosten, sinkender Bankenkapitalisierung und einem weiteren Vertrauensverlust in des österreichische Bankensystem, wodurch die Refinanzierungskosten für Banken und Kreditnehmende wiederum steigen. Eine Immobilienkrise hat somit nicht nur auf die Banken, sondern auch auf die Realwirtschaft negative Auswirkungen. Noch höher sind die sozialen Kosten, wenn es im Zuge der Immobilien- und Bankenkrise zu Bankausfällen kommt (z. B. Irland9, Spanien 2008-1410).

Soziale Kosten von Bankenkrisen sind für die Gesellschaft hoch. Basierend auf den Daten aus 151 Bankenkrisen weltweit ergibt sich, dass die Kosten für den Staat in einer Krise rund 6,7% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Die öffentliche Verschuldung erhöht sich um 21% des BIP. Die wirtschaftlichen Verluste für die gesamte Krisendauer betragen rund 35% des BIP. Außerdem schaden Bankenkrisen der Wirtschaft eines Landes langfristig: Mehr als die Hälfte der Krisen dauert 5 Jahre oder länger in Ländern mit hohem Einkommen (Laeven und Valencia 2018).11 Folgende Grafik zeigt den internationalen Median dieser negativen sozialen Kosten für Länder mit hohem Einkommen, wie Österreich.

Auswirkungen von Bankenkrisen auf wesentliche volkswirtschaftliche Indikatoren

5 Die Analyse trifft dabei keine Aussage über kausale Zusammenhänge zwischen dem partiellen, im TUI-Modell isoliert betrachteten Immobilienstress und den weitreichenden Verwerfungen im Stresstest, ausgelöst durch das adverse Szenario. Der Anstieg der Ausfallswahrscheinlichkeiten aus dem TUI-Modell kommt zum bestehenden Stress im regulären OeNB-Stresstest hinzu.

6 S&P Global Ratings. 2024. Banking Industry Country Risk Assessment Quarterly Monitor: Q4 2023.

7 Schmitz, S. W., Sigmund, M. und Valderrama, L. 2019. The Interaction Between Bank Solvency and Funding Costs: A Crucial Effect in Stress Tests. Economic Notes, Vol. 48/No. 2.

8 Leika, M., Schmitz, S. W. und Valderrama, L. 2019. Euro Area Policies: Financial Sector Assessment Program-Technical Note-Stress Testing the Banking Sector. IMF Country Report, No. 18/228.

9 Baudino, P., Murphy, D., und Svoronos, J. 2020. The banking crisis in Ireland. Bank for International Settlements, FSI Crisis Management Series, No. 2.

10 Baudino, P., Herrera, M., und Restoy, F. 2023. The 2008–14 banking crisis in Spain. Bank for International Settlements, FSI Crisis Management Series, No. 4.

11 Laeven, L. und Valencia, F. 2018. Systemic Banking Crises Revisited. IWF, WP/18/206. Alle Zahlen sind die Medianwerte für Länder mit hohem Einkommen.